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Chancen im Wohnungsbau: ein Gespräch mit Robert Marlow

21. Januar 2025

Robert Marlow, Präsident der Architektenkammer Niedersachsen, spricht im Interview über die schwierige Lage im Wohnungsbau aufgrund steigender Zinsen und Materialkosten. Trotz düsterer Prognosen sieht er Chancen in vielen Bau- und Sanierungsprojekten durch den demografischen Wandel und die Notwendigkeit zur energetischen Modernisierung von Bestandsbauten. Wie entwickelt sich der Trend zum Bauen im Bestand und welche Rolle spielen nachhaltige Materialien wie Holz? Marlow betont die Bedeutung einer guten Planung und Bestandsanalyse, um unerwartete Kosten zu vermeiden, und fordert ein Umdenken in der Energieeffizienz von Gebäuden.

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Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung rechnet damit, dass 2025 das reale Bauvolumen mit einem Minus von knapp einem Prozent das fünfte Jahr in Folge sinken wird.  Erstmals seit der Finanzkrise ging das nominale Bauvolumen zurück. 2026 wird der Wohnungsneubau 25 Prozent unter dem Niveau von 2020 liegen. Traurige Aussichten für Architekten?

Da muss man relativieren: Einerseits ja, im Wohnungsbau sind die Zeiten seit zwei Jahren sehr schwierig. Steigende Zinsen, teurere Materialkosten und extrem gestiegene Baukosten haben das Bauen erschwert. Unternehmen haben Projekte, die sie angefangen haben, zwar fertiggestellt, aber neue Projekte werden nicht begonnen. Zum Beispiel hat die Wohnungswirtschaft Projekte für neue Wohnungen in der Schublade, aber fängt aus wirtschaftlichen Gründen nicht damit an. Und andererseits nein, die Aussichten sind nicht schlecht. Wenn Sie heute Architektur studieren, sollten Sie danach nicht arbeitslos werden. Durch den demographischen Wandel haben auch wir jetzt schon einen Fachkräftemangel. Zudem wird es in Zukunft im Bestand unglaublich viele Bau- und Sanierungsprojekte geben. Wir haben da einen riesigen Berg an Arbeit vor uns.

Aber wahrscheinlich erst einmal nicht im Bereich des Ein- oder Zweifamilienhauses, oder? Sie haben es eben gesagt: Gestiegene Zinsen und hohe Kosten schrecken potenzielle Bauherren ab. Wer kann es sich heute noch leisten, mit einem Architekten zu bauen?

Jeder, der baut sollte sich eine Architektin, einen Architekten „leisten“! Weil Architekten für eine belastbare Planung sorgen, die dann auch eingehalten wird. Sie sorgen dafür, dass Bauanträge korrekt gestellt und Angebote vergleichbar eingeholt werden. Nicht zuletzt kennen und betreuen Architekten zudem die Firmen auf der Baustelle, so dass ein reibungsloser Ablauf garantiert wird.

Ein weiterer Trend hat sich schon vor mehr als zehn Jahren abgezeichnet:  Immer mehr Menschen entschieden sich zum Bauen im Bestand. Sie kauften alte Immobilien, um diese um- und auszubauen. Damals ging es weniger um Nachhaltigkeit als vielmehr darum, begehrte, große Grundstücke oder Grundstücke in begehrten Lagen zu erwerben, die man oft nur mit altem Hausbestand bekam. Wohin geht der Trend jetzt?

Der Trend wird zwangsläufig weiter zum Bauen im Bestand gehen – allein schon aus Nachhaltigkeits- und Klimaschutzgründen, aber auch aus Angebotsaspekten. Es geht neben der Nachverdichtung von bestehenden Flächen vor allem auch darum, durch Um- und Ausbauten den Bestand mit regenerativen Heizmöglichkeiten nachzurüsten und in zukunftsfähige Nutzungen zu überführen. Der Gedanke „Jung kauft Alt“ muss befördert werden.

Ein Um- oder Ausbau eines gebrauchten Hauses kann durchaus teurer sein als ein Neubau. Warum sollte man es trotzdem machen?

Es kann spannend sein, ein altes Haus umzubauen.

„Spannend“ hört sich ja erst einmal sehr positiv an. Für Bauherren ist „spannend“ allerdings oft gleichzusetzen mit Gegebenheiten, die man plötzlich vorfindet und mit denen man nicht gerechnet hat. Oft sind das die Dinge, die die Kosten in die Höhe treiben.

Ja, und genau deshalb sollte man vor dem Kauf Fachkompetenz einbinden und eine gute Bestandsanalyse machen. Dafür sollte Bauherrschaft Geld ausgeben, damit man nachher nicht zu viele negativ „spannende“ Dinge erlebt. Gerade bei einem gebrauchten Haus ist das extrem wichtig.

Sprechen wir über Energie. Gerade ältere Gebäude haben oft schlechte Werte. Bislang wurden sie oft nur „eingepackt“, das heißt, sie wurden gedämmt und bekamen neue Fenster. Nicht immer tat eine Dämmung einem Haus gut.

Das stimmt. Auch in diesem Bereich müssen wir umdenken. Wir müssen die Standards absenken. Die Frage darf nicht sein: Wie erreiche ich die vorgeschriebenen Standards, als vielmehr: Wieviel klimaschädliches CO2 entsteht im gesamten Lebenszyklus des Gebäudes?

Also weg von der Superdämmung hin zur effizienten Energieversorgung?

Der Anspruch an Dämmung wird meiner Auffassung nach überbewertet. Wir müssen vielmehr schauen, wie wir die begrenzt zur Verfügung stehenden Mittel sinnvoll einsetzen, um am Ende den Bestand regenerativ beheizen zu können. Das Gebäudeenergiegesetz sollte zu einem Gebäuderessourcengesetz umgewandelt werden. Zudem müssen wir in Kreisläufen denken.

Wie meinen Sie das?

Wir müssen anhand des Lebenszyklus eines Gebäudes von etwa 50 Jahren überlegen, wie wir es schaffen, es möglichst klimaneutral aufzustellen. Beim Neubau geht das zum Beispiel am besten mit einer Holzbauweise. Die Verwendung von Holz verbraucht weitaus weniger Kohlendioxid als Beton und lagert es zudem auch noch ein. Aber bitte nicht missverstehen: Beton ist bei manchen Gebäudearten unverzichtbar! Wenn man lange Stützen benötigt, sind die meistens aus Beton. Doch normale Gebäude kann man wunderbar aus Holz bauen. Und davon haben wir genug!

In Bayern hat das Bauen mit Holz Tradition. Aber – überspitzt gesagt – vielleicht möchte nicht jeder in einer bayerischen Almhütte oder einem schwedischen Holzhaus wohnen?

Das muss man auch gar nicht. Bei modernen Holzhäusern muss man den Hauptbaustoff gar nicht unbedingt sehen. Wir bauen beispielsweise gerade eine Schule in Barsinghausen, deren Fassade aus einer gedämmten Holzkonstruktion besteht und die äußerlich verklinkert ist.

Was sind die spannendsten Bauten, die derzeit in Hannover verwirklicht werden?

Ich denke, das sind der neue Stadtteil Kronsrode und die Wasserstadt in Limmer, wobei die Wasserstadt den entscheidenden Vorteil hat, dass man sehr schnell in der Innenstadt ist.

Welche fünf Bauwerke in Hannover sollte man Ihrer Meinung nach unbedingt gesehen haben?

Das Galeriegebäude und das Arne-Jacobsen-Foyer in Herrenhausen, weil es eine wunderbar gelungene Kombination aus Alt und Neu ist. Das Kestnermuseum, in das man unbedingt hineingehen muss, um zu erleben, wie die 60er-Jahre-Fassade die alte Fassade umhüllt und  aufnimmt. Den Neubau vom Coworking-Space „Hafven“ in der Nordstadt, das von außen betrachtet geschlossen und fast schwarz und im Inneren offen, hell und weiß gestaltet ist. Außerdem empfehle ich Freunden die gelbe Schule der IGS Roderbruch als Zeugnis der 70er Jahre-Architektur und das Ihme-Zentrum als Hannovers Beispiel des Brutalismus.

Interview: Heike Schmidt

Fotos: Frank Wilde

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