Den Acker hinter ihrem Haus hatten sie an einen Landwirt verpachtet. Doch als der Bio-Betrieb aufgeben musste, standen der Berater Thomas Mazur und seine Frau, die Lehrerin Birga Mazur-Rodak vor der Frage: Was tun mit den mehr als zwei Hektar Land? Sie machten sich auf eine Reise zu einer besonderen Form der Landwirtschaft. Heute sind sie selbst Pioniere der Permakultur – und haben in Kirchhorst eine Oase geschaffen, deren Produkte sogar Sterneköche bewundern.
Text: Stefanie Nickel Fotos: Lorena Kirste
Rechts der Mais, Tausende von Pflanzen in geraden Reihen, kein Vogel über ihnen, was sollten sie hier auch fressen. Links, auf einem Feld gleicher Größe: wilde Blumen, Kräuter, Salate, Stauden, Sträucher, Bäume, dazu Gänse, Enten, Schafe, Schweine, Hühner, unzählige Insekten. Man traut seinen Augen kaum, was da alles auf ein Feld passt. Permakultur heißt diese Art der Landwirtschaft, die gut für den Boden, das Klima, die Artenvielfalt und den Geschmack ist. Und doch ist das alles scheinbar so ungewöhnlich und neu, dass die Behörden hier lieber ein Maisfeld gesehen hätten.
Auf dem Acker von Thomas Mazur und seiner Frau Birga Mazur-Rodak in Kirchhorst im Nordosten Hannovers sieht es nicht nach einer Landwirtschaft aus, wie sie in Deutschland üblich ist. Die Flächen pro Betrieb werden immer größer, die Maschinen auch. Und selbst Bio-Betriebe sind längst oft Großunternehmen. Die meisten Landwirte würden den Acker der Mazurs wohl als wildes Durcheinander beschreiben. Und tatsächlich sind die beiden keine Landwirte im klassischen Sinn. Thomas Mazur ist Wirtschaftsprüfer, Birga Grundschullehrerin. Seit neun Jahren sind beide auch Landwirte.
An einem sonnigen Mai-Tag steht Mazur, rotes Polo-Shirt, beige Fleece-Weste, randlose Brille, auf dem Land hinter seinem Haus. „Geordnete Wildnis“ nennt er das Konglomerat aus Hügeln, Senken, Kräuterinseln, Beeten und Wiesenflächen. Hier wachsen an die 500 verschiedene Arten von Gräsern, Kräutern, Obst- und Gemüsepflanzen, jede Pflanze und jedes Tier hat eine Aufgabe, ganz so wie es in einem funktionierenden Ökosystem sein sollte. Das Credo der Permakultur Kirchhorst (PeKK): keine Pestizide, kein künstlicher Dünger und kein Umpflügen. „Wir arbeiten im Einklang mit der Natur, nicht dagegen. So haben wir die wenigste Arbeit.“ Er lacht kurz und klar auf, seine Augen glänzen. Das hier ist für Thomas Mazur kein lustiges Hobby. Er will etwas bewegen.
Früher verbrachten die Mazurs ihre Freizeit noch überwiegend auf dem Golfplatz oder dem Segelboot. Das Stück Land hinter dem Haus hatten sie an einen Biolandwirt verpachtet. Doch dann gab der Landwirt auf, weil er dem trockenen Boden nicht genug Ertrag abringen konnte. Die Mazurs standen vor einer schwierigen Frage: Was tun mit den 2,4 Hektar, mit den gut drei Fußballfeldern Fläche? Die Gemeinde bot ihnen einen siebenstelligen Betrag, die Mazurs hätten dann direkt auf ein Gewerbegebiet geschaut. Das, so viel war sicher, wollten sie nicht. Und mit dem Nein begann die Reise zur Permakultur.
Permakultur ist kurz gesagt das Gegenstück zur Monokultur, die den Boden auslaugt und nur mit viel Düngereinsatz gute Erträge schafft. Die Permakultur, eine Wortschöpfung aus den Begriffen permanent und agriculture, also permanente Landwirtschaft, will geschlossene Kreisläufe schaffen. Das Ziel: ein sinnvoller und respektvoller Umgang mit der Natur und ihren Ressourcen, insbesondere Wasser. Die Australier Bill Mollison und David Holmgren prägten den Begriff in den 1970er-Jahren. Heute wächst die Bewegung in der Nische. Eine Bewegung, die helfen könnte, die Welt nachhaltig zu ernähren, den vielerorts ausgelaugten Boden aufzubauen und dabei noch das Klimagas CO2 großflächig zu binden.
Die Mazurs begannen ihre Reise mit viel Neugier. Sie pilgern nach Österreich zu Sepp Holzer, der auf seinem Krameterhof eine Permakultur betreibt. „So muss das Paradies aussehen“, denken sie, als sie den alpinen Garten erblicken und beschließen: „Das wollen wir auch.“ Sie vertiefen sich in die „No Dig“-Methode (Gärtnern ohne Umgraben) des englischen Gärtners Charles Dowding und lesen vom Konzept „Gießen ohne Wasser“. Sie fliegen nach Bali zur „Kul Kul Farm“ und lernen in Kalifornien die „Singing Frogs Farm“ kennen. In Kanada machen sie sich mit sogenannten Market Gardens vertraut, ein Konzept, das verspricht, auf kleinster Fläche mit einfachen Techniken Gemüse wirtschaftlich zu produzieren – und das Paar adaptiert, was brauchbar scheint.
Heute, neun Jahre nach dem Entschluss für die Permakultur, hat sich die Brachfläche hinter ihrem Haus in ein beeindruckendes Biotop gewandelt. Die Mazurs lassen die Natur für sich arbeiten, wie sie sagen. Sie greifen so wenig wie möglich ein. Überschüssige Gräser werden rund um Baumstämme verteilt, um den Boden feucht zu halten. Die herabhängenden Äste der Obstbäume schützen die Hühner vor Greifvögeln, ein herzförmiger Teich sorgt für feuchtes Mikroklima, die schwarzen Steine am Hang erwärmen sich und lassen die Erdbeeren schneller rot werden. Durch die Vielfalt auf dem Acker soll der Boden aufgewertet, ihm Nährstoffe zugefügt werden. Nur die drei Duroc-Schweine dürfen das Land umgraben, einen Pflug gibt es nicht. „Dieser würde die Bodenstruktur zerstören“, sagt Birga Mazur-Radok.
Dass es dem Boden gut geht, kann man schmecken. Das sagt einer, der es wissen muss. Tony Hohlfeld wurde kürzlich für die Küche seines Restaurants Jante in Hannovers Südstadt mit zwei Michelin-Sternen ausgezeichnet. Er sagt über die Arbeit der PeKK: „Produkte in dieser Qualität sind rar.“ Die Mazurs haben Ingwer und Zitronengras für Hohlfeld angebaut, er hat den Ingwer in Salzlake einlegt, jetzt will der Sternekoch ihn mit Garnelen aus einer nachhaltigen Zucht in Niedersachsen servieren. „Man merkt den Produkten an, dass hier in einem Organismus gearbeitet wird.“ Das meint: Es ist praktisch ein geschlossenes System. Der Boden darf Boden sein, wird nicht mit Stickstoffdünger zu kurzfristigen Rekorden gepushed. Die Mikroorganismen können arbeiten, das ist gut für die Pflanzen, unseren Körper und das Klima.
Auch ein anderer Stammkunde der Mazurs schwärmt von deren Arbeit. Lennart Röbbel, ausgebildet in der Sterneküche, hat sich als Event-Koch und mit seinem hochgelobten veganen Restaurant Rüpel in Linden-Nord einen Namen gemacht. „Das Kochen beginnt auf dem Feld“, sagt Röbbel. Er liebt es, durch die Permakultur zu gehen und immer wieder neue Produkte zu entdecken. Etwa die süßlich-nussige Yacon-Wurzel, die er hauchzart über den Salat hobelt. Oder die Ochsenherztomate, die er blanchiert, zwei Tage trocknen lässt, im Ofen weiter gart und mit einer Liebstöckel-Hanf Mayonnaise anrichtet. Der Geschmack sei besser, weil erst geerntet werde, wenn etwas wirklich reif sei. Regional, saisonal, nachhaltig. Röbbel: „Mein Traum ist es, dass Landwirtschaft wieder die Menschen in ihrem Umkreis ernährt, mit ihnen in Austausch geht und eine Beziehung aufbaut.“
Sternekoch Tony Hohlfeld und Szene-Tipp Lennart Röbbel sind nicht die einzigen Fans der Mazurs. Auch Gastronomen wie Christoph Elbert, der das 11a in Linden und das Boca in der List führt, Nord/LB-Küchenchef Oliver Rasper, Robert Beck vom Hillers, dem ältesten vegetarischen Restaurant in Deutschland, standen schon auf dem Acker in Kirchhorst.
Auf dem Land der Mazurs stehen heute an die 1000 Bäume. Weil hier eben nicht nur auf dem Boden geerntet wird, nennen sie ihren Ansatz dreidimensionale Landwirtschaft. Die Befürworter sind sicher, dass ihr Ertrag pro Fläche deutlich größer ausfällt als bei konventionellen Kollegen. Gar nicht zu beziffern ist der Wert der Artenvielfalt. Fast im Wochentakt kehrten hier Tiere zurück, Insekten, Mäuse, seltene Vögel wie die Waldohreule. Als die Mäuse überhand nahmen, machten die Mazurs: erst einmal nichts. Bald kamen die Eulen und kümmerten sich um die kleinen Nager. Abwarten, Lösungen suchen, das ist Permakultur. Wenn die Stare die Süßkirschen fressen, dann pflanzt man nebenan einen „Ablenkbaum“ mit für Vögel noch schmackhafteren Beeren. „Die meisten Landwirte haben Angst vor dieser Komplexität. Sie kennen ihre Kunden nicht. Unsere Kunden sind unsere Fans“, sagt Mazur.
Wer etwas anders macht in der Landwirtschaft, hat aber nicht nur Fans. Das merkten die Mazurs gleich zu Beginn ihres Projekts. Mit der Landwirtschaftskammer stritten sie sogar vor Gericht, mussten beweisen, dass ihr Ansatz wirklich Landwirtschaft ist. Der Besuch der Behördenvertreter in Kirchhorst fühlte sich eher „wie eine Inquisition“ an, sagen sie heute. Noch immer hält sich Skepsis bei Kollegen, viele belächeln sie.
Die Böden retten, für Artenvielfalt sorgen, herausragende Produkte anbieten, alles schön. Aber Thomas Mazur schaut noch auf einen weiteren Aspekt: „Mich interessiert, wie die Permakultur vom ersten Tag an wirtschaftlich sein kann“, sagt er. Als Berater, sein Hauptjob, will er sich auf landwirtschaftliche Themen fokussieren. Wie kann die Permakultur massentauglich gemacht werden? Wie kann ein konventioneller Bauer auch mit Blick auf schwer zu findende Erntehelfer auf Permakultur umstellen?
Hier kommt Christian Hennig ins Spiel. Hennig berät er mehr als 35 Permakulturen. Mit seinem Unternehmen permarobotics will er Robotik und Automatisierung mit dem Konzept der Permakultur verbinden. Ein Roboter kann bei der Vermarktung und in der Produktion mitarbeiten. Er soll auch bei der Aussaat und bei der Analyse von Bodenfeuchtigkeit helfen, um darüber die Bewässerung zu optimieren. Techniktüftler Hennig hat auch die App entwickelt, mit der die PeKK-Kunden ihre Waren bestellen können. Direktvertrieb ist das zentrale Element – wer nicht am Samstag zum Hofverkauf nach Kirchhorst kommen will, kann die Produkte rund um die Uhr am dort aufgestellten Kühlschrank abholen. Ein ähnlicher Kühlschrank steht auch im Hafven in der Nordstadt und bald beim Versicherungskonzern HDI.
Die Mazurs wollen die Landwirtschaft verändern und Vorbild sein.