Georg Rinke lebt in einem Tiny House auf einem grünen Hinterhof in Hannover-Linden. Sein Umzug in das kleine, aber feine Heim war für den 63-Jährigen eine große Befreiung.
Georg Rinke, der zuletzt sechs Jahre das Straßenmagazin Asphalt leitete und sich für die soziale Integration von Obdachlosen stark machte, hat sich entschieden, sein Leben zu verändern. Er wollte in seiner 89 Quadratmeter großen Wohnung nicht länger Dinge anhäufen, sondern sich verkleinern, Überflüssiges loslassen und nur noch das besitzen, was er wirklich braucht. „Ich wollte etwas, das mir mehr Ruhe, mehr Klarheit und vor allem mehr Freiheit gibt“, erklärt Rinke. Seit Herbst vergangenen Jahres wohnt Rinke in seinem minimalistischen Zuhause in einem grünen Hinterhof in der Roesebeckstraße in Linden-Süd. Es ist eines von vier Tiny Houses, die die städtische Wohnungsbaugesellschaft Hanova hier errichtet hat. Mit der großen Fensterfront und der hellen holzvertäfelten Terrasse könnte Rinkes Zuhause fast ein Beachhouse in Kalifornien sein, nur eben in Miniaturformat. Die schlichte, kubische Form wirkt sowohl modern als auch funktional, das Holz verleiht dem Ensemble ein warmes, natürliches Erscheinungsbild. Aber das Häuschen liegt nicht am Strand, sondern inmitten der Großstadt zwischen dem Klinikum Siloah und der befahrenen Ritter-Brüning-Straße – und verströmt dennoch ein Gefühl von Weite.
"Drinnen und draußen gehen ineinander über"
Rinke sitzt auf seinem Sitzsack vor seinem Tiny House, eine Birke spendet Schatten. Von der Straße bekommt
man draußen wenig mit, drinnen nichts. Die Außenwände sind mit Wolle isoliert. „Seitdem ich hier wohne, bin ich
viel häufiger draußen“, sagt Rinke. „Drinnen und draußen gehen hier ineinander über.“
Das Tiny House ist ein Paradebeispiel für effiziente Raumgestaltung. Mit nur 23 Quadratmetern Wohnfläche bietet es Rinke auf zwei Ebenen alles, was er braucht – von einem offenen, loftartigen Wohn- und Essbereich über
ein Badezimmer mit Miniwaschbecken und Drei-Liter-Waschmaschine an der Wand bis hin zur Schlafempore.
Der Wohnraum hat eine Höhe von viereinhalb Metern, was ihm ein luftiges und großzügiges Gefühl verleiht, das durch einen hohen Spiegel zusätzlich betont wird – der Blick geht so immer ins Grüne.
Haus mit einem Lastwagen gebracht
Entwickelt hat die Tiny Houses das estnische Unternehmen Kodasema, das aus einer Gruppe von Architekten, Designern und Wohnraumentwicklern besteht. 2014 gegründet, verschickt die Firma ihre Mikrohäuser
mittlerweile auch in die USA und hat zahlreiche Niederlassungen in Europa. Die Preise für eine Einheit starten je
nach Standort und Ausstattung bei etwa 150.000 Euro. Die Tiny Houses werden mit dem Lastwagen gebracht
und mit einem Kran platziert. Hanova hat die Häuser gekauft und vermietet sie nun auf eigenem Grund. Da
die Häuser vorgefertigt sind, ist die Installation vor Ort meist an einem Tag geschafft. Ebenso schnell kann das
Haus, das auch als Büro, Café oder Veranstaltungsort genutzt werden kann, wieder abgebaut und an einen
neuen Ort transportiert werden.
Als Rinke hörte, dass Hanova die Tiny Houses plante, war ihm direkt klar, dass er dort wohnen wollte. Der Andrang
auf die Häuser war groß: Insgesamt rund 700 Interessierte gab es für die vier Einheiten, am Ende wurde gelost.
Rinke war zunächst nicht dabei. Die Idee aber hatte sich in seinem Kopf festgesetzt: Er hatte direkt angefangen
auszumisten. Und das tat ihm gut. Er stellte sich Fragen: Was ziehst du wirklich an? Was brauchst du?
Welche Erinnerungsstücke dürfen bleiben? Karton nach Karton verließ die Drei-Zimmer-Wohnung nahe dem Bredero-Hochhaus – insgesamt waren es an die 30, plus Kleidung. Mehr als zwei Jahre nach der Bewerbung kam dann der
Anruf. Eine Einheit sei frei geworden, hieß es. Rinke zögerte nicht, sprach sich noch kurz mit seinen Kindern ab.
Die sagten nur: „Das passt zu dir. Mach das.“
"Ich finde, es ist Luxus, hier wohnen zu dürfen"
„Ich finde, es ist Luxus, hier wohnen zu dürfen“, sagt Rinke. Luxus ist für ihn nicht mehr Raum, sondern so zu leben,
wie es das Tiny House ihm nun möglich macht. Statt eines Ankleidezimmers gibt es für den Geschäftsführer der Umzugsfirma Spangenberg nun einen 30 Zentimeter breiten Kleiderschrank in der Küche – darin: ein Anzug, einige
Blue Jeans und schwarze Shirts. Rinke musste puzzeln. Zwischen den Treppenstufen hat er Kisten für zusätzlichen Stauraum geparkt. Das Wohnkonzept hat seinen Preis: Der Quadratmeterpreis liegt deutlich über Hannovers Durchschnitt. Kalt zahlt er 495 Euro, warm sind es inklusive Strom rund 630 Euro.
Die Möbel sind bewusst einfach, aber funktional gewählt. Das schwarze Kunstledersofa misst genau 1,90 Meter.
An seinem ausklappbaren Tisch könne er bequem mit sechs Leuten sitzen. Das habe er schon mehrmals erprobt,
sagt Rinke. Einen Luxus hat er sich doch erlaubt: einen Weinkühlschrank.
Rinke hat das Interieur mit einigen persönlichen Gegenständen und Erinnerungsstücken ausgestattet, die ihm
wichtig sind. Da sind Fotos seiner vier Kinder und seines Enkelkindes. Da ist der Kerzenständer aus dem Nachlass seiner Tante, eine Trommel und ein geschnitzter Wasserbüffel aus der Zeit, in der er in Südafrika lebte.
Die Bildbände von Dali, den Beatles und den 90er-Jahre-BMW-Motorrädern – seine große Leidenschaft. Da hängen Kunstwerke von Otto Quirin, Dieter Kressel und Michael Strogies an den Wänden. „Jedes Stück hier hat eine Geschichte“, sagt Rinke, „und das macht diesen Raum zu etwas Besonderem.“ Nach knapp einem Jahr Tiny House
sagt er: „Ich kann mir nicht mehr vorstellen, anders zu leben.“
Text: Stefanie Nickel
Fotos: Frank Wilde