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Souffleuse Tanja Kleine – Sie hilft anderen immer weiter

Souffleuse Tanja Kleine

Tanja Kleine ist Souffleuse und war selbst Schauspielerin. Sie weiß, wo es hakt, und wie man Darstellern auf der Bühne weiterhelfen kann. Ein Porträt.

Text: Jörg Worat, Fotos: Lorena Kirste

Befremdliche Szenen bei der Aufführung von „Figaros Hochzeit“ in der Spielzeit 2020/21: Da motzt Kaspar Locher, der Graf Almaviva spielt, von der Ballhof-Bühne herab lautstark Souffleuse Tanja Kleine an. Es fallen derbe Worte: „Halt die Fresse!“ muss sich die Kollegin anhören, die wiederum irgendwann mit „Wisch dir den Mund ab!“ kontert und schließlich sogar da landet, wo sie gerade nicht hingehört, nämlich auf der Bühne. Wer bei dieser Beschreibung langsam argwöhnt, dass es sich hier um ein abgekartetes Spiel handelt, liegt richtig: „Wir haben ein Souffleusen-Bashing in die Inszenierung eingebaut“, sagt Tanja Kleine belustigt.
Natürlich durfte sie damals auch die Ensemble-Verbeugung mitmachen, und denjenigen, die schon lange Theateraufführungen in Hannover besuchen, ist dieses Gesicht vielleicht bekannt vorgekommen: Von 1995 bis 1999 war Tanja Kleine Schauspielerin an der hiesigen Landesbühne. Die ging im Hildesheimer „Theater für Niedersachsen“ auf, und auch dort fasste die heute 53-Jährige nach einer längeren Episode an den Uckermärkischen Bühnen Schwedt und einer Tournee mit dem berühmten Ohnsorg-Theater Fuß, zunächst als Darstellerin, ab 2016 zusätzlich als Souffleuse. In dieser Funktion wechselte Tanja Kleine 2019 mit dem Amtsantritt von Intendantin Sonja Anders nach Hannover.

Beweggründe

Hier gehört sie nun zu einem Team von vier festen und zwei bis drei regelmäßig auf freiberuflicher Basis eingesetzten Kräften beiderlei Geschlechts. Was hat die Souffleuse zu dieser beruflichen Umorientierung bewogen, zumal in einer Zeit, da sie auch noch als Teil einer flotten „Dirty-Dancing“-Produktion durch die Lande tourte? „Gerade mit Familie hat man doch den Wunsch nach einer festen Basis. Und als die Stelle in Hildesheim ausgeschrieben wurde, habe ich mich bei Intendant Jörg Gade beworben.“ Das tat Tanja Kleine dann auch „proaktiv“ in Hannover, gleichfalls mit Erfolg.

Die eigene Bühnenerfahrung spielte dabei zwar eine gewisse Rolle, aber, was etwas überraschen mag, keine entscheidende – das hannoversche Kollegium besteht jedenfalls nicht nur aus ehemaligen Schauspielerinnen und Schauspielern. „Man braucht vor allem Konzentration“, zählt die Souffleuse auf, „eine gute Aussprache, Einfühlungsvermögen und die Bereitschaft, die speziellen Arbeitszeiten im Theater mitzumachen.

Flexibilität als Voraussetzung

Flexibilität wird auch dahingehend benötigt, dass jede Inszenierung ihren eigenen Touch hat, wie bei einer Betrachtung der aktuellen Produktionen deutlich wird, in denen Tanja Kleine mitwirkt. Zum Beispiel hat „Die Höhle auf Erden“ starken Performance-Charakter: „Da ist sehr viel los, mit Licht, mit Kostümen, mit Elementen des Bühnenbildes.“ Beim musikalischen Abend „Luft“ wiederum hat es die Souffleuse erstmalig mit „In-Ear-Monitoring“ zu tun bekommen: „Ich bin mit einem Handmikrophon ausgestattet, das ich selbst ein- und ausschalten kann, und das Ensemble hat Empfänger im Ohr. Da ist der kurze Soundcheck vor der Aufführung wichtig – es wäre schlecht, wenn entweder die Übertragung nicht funktioniert oder plötzlich der gesamte Saal mithört.“ Übrigens würde es Tanja Kleine bei Bedarf auch nicht schwerfallen, den Kollegen ein paar Töne vorzusummen, weil sie selbst in Musicals mitgespielt hat. Und Gesungenes spielt in ihrer Familie ohnehin eine große Rolle: Ehemann Andreas Unsicker ist musikalischer Leiter der Hildesheimer Musical Company.

Marathon-Abende

Schon mehrfach hat die Souffleuse mit Regisseur Stephan Kimmig zusammengearbeitet, bei sehr unterschiedlichen Inszenierungen, die sie indes gleichermaßen schätzt. Bei „Amphitryon“ im Ballhof herrschten spezielle Bedingungen, weil Kleists sorgsam gesetzte Sprache keine gar zu massiven Eingriffe verträgt. Die neue Inszenierung „Das Fest“ dagegen besticht nicht nur durch ausgeprägte Bewegungspassagen – zur Freude von Tanja Kleine, die sich privat gern im Ballettsaal austobt –, es wurde auch textlich während der Proben mehr improvisiert: „Da muss man in den Notizen immer wieder die Absprungpunkte markieren.“ Wenn‘s passt, meldet sich Tanja Kleine im fortschreitenden Arbeitsverlauf auch zu Wort und weist auf Improvisationspassagen hin, die nach ihrem Empfinden besonders gut gelungen sind.

Überhaupt sitzt sie keineswegs immer nur still in der Ecke. „Manchmal kommt es in den Pausen zu Gesprächen, in denen man etwas aus der eigenen Lebenserfahrung beisteuern kann.“ Als zweifache Mutter etwa zu einem Stück mit fast ausschließlich männlichem Personal: „Das Vermächtnis“ spielt im Homosexuellen-Milieu; erst ganz am Schluss tritt eine Frauenfigur auf. Diese Aufführung mit einer Netto-Spielzeit von über vier Stunden ist für Tanja Kleine ohnehin von ganz besonderer Bedeutung: „Das ist immer ein tolles Gefühl, wenn man diesen Abend gepackt hat.“

Technik und Einfühlung

In technischer Hinsicht hat sich die Soufflage im Laufe der Zeit spürbar verändert. Der althergebrachte Souffleurkasten ist weitgehend zum Wohlgefallen der Bühnenbildner abgeschafft: Tanja Kleine sitzt üblicherweise in der ersten Reihe des Zuschauerraums, erinnert sich aber auch gern an die Hildesheimer Gegebenheiten: „Dort hat es die Bühnensituation mit sich gebracht, dass ich oft hinten bei den Kulissen gestanden habe. Das hat Vorteile, weil ich unsichtbar bleibe und mir keiner über die Schulter schaut.“ Tanja Kleine schaltet während der Vorstellung zuweilen ihr eigenes Leselicht ein, liest aber im Gegensatz zu einigen Kollegen nie von einem Tablet ab: „Schon den Gedanken, das Gerät könnte ausfallen, ertrage ich nicht …“
Schließlich war von Einfühlungsvermögen die Rede, und das braucht die Frau mit der ebenso gelassen-sympathischen wie bestimmten Ausstrahlung immer wieder, weil die Darsteller unterschiedliche Temperamente und Gepflogenheiten aufweisen. „Man muss den jeweiligen Typ einschätzen können: Wer schaut bei einem Texthänger schnell rüber, wer nimmt sich erst noch Zeit.“
Gab es denn irgendwann einmal während einer Vorstellung eine echte Katastrophe? Davon weiß die Souffleuse nicht zu berichten, wohl aber von einer amüsanten Episode: „Da hat ein Schauspieler eine komplette Passage übersprungen, ohne die man die Handlung nicht mehr verstanden hätte. Als es ihm aufgefallen ist, hat er ganz selbstverständlich gesagt: ,Tanja, wo sind wir denn jetzt?‘