Wenn Wesen aus dem Meer mehr Wärme als Menschen haben: Tatjana Gürbaca inszeniert Antonín Dvořáks Oper Rusalka
Text: Heike Schmidt, Fotos: Sandra Then
Symbolträchtiger könnte das Bild kaum sein: Um der Nixe Rusalka ihren Wunsch zu erfüllen, zerbricht die Hexe Jezibaba einen Spiegel. Im Volksglauben ist das ein eindeutiges Zeichen: Die Seele desjenigen, der sich einst im Spiegel betrachtet hatte, zerbricht. Das alte „Ich“ zerspringt in Scherben. Ganz zusammensetzen wird sich dieses Bild nie wieder. Die Seele ist verletzt. Heilen wird sie nie.
Schmerzhafter Wandel vom Meer an Land
Dies ist nur eines der wunderbaren und intelligenten Bilder, die Tatjana Gürbaca für die Inszenierung von Antonin Dvoráks „Rusalka“ gefunden hat. So muss die Nixe Rusalka in ihren neuen Schuhen nicht erst nur laufen lernen und die Scherben in den Schuhen werden ihr zusätzliche Schmerzen bereiten, ihre Pumps sind auch noch rot. Dies ist zum einen die Farbe der Liebe und des Blutes, zum anderen trug aber noch ein berühmtes Mädchen rote Schuhe. Dorothy wurde im „Zauberer von Oz“ per Wirbelwind aus ihrer vertrauten Umgebung herausgerissen. Um wieder nach Hause zu kommen, trug sie rote Schuhe und sagte den berühmten Satz: „Nirgends ist es schöner als daheim.“
Zwei Gesellschaften
Auch Rusalka möchte unbedingt wieder nach Hause. Die Gesellschaft der Menschen, die sie nicht verstehen (können), ist ihr fremd. Die Damen in ihren Abendkleidern, die sich hinter ihrem Rücken über sie lustig machen, die Herren im Smoking, die erst einmal einen Drink nehmen und sie als kleines Mädchen abtun – die Arroganz und die Gefühlskälte dieser Gesellschaft ist spürbar. Die Liebe zu ihrem Prinzen, für den sie zum Mensch geworden ist und unter Schmerzen laufen gelernt hat, ist erloschen. Am stärksten ist dabei die Szene, in der diese schöne Gesellschaft wie in einer Schockstarre gefriert und der Wassermann und Rusalka als einzig scheinbar lebendige Wesen agieren. In dieser Szene zeigen die beiden Wasserwesen mehr Wärme als die ganze bessere Gesellschaft in ihrem Salon.
Kiesel im Meer
Tatjana Gürbaca hat einen feinen Blick auf die alte Geschichte, in der ein Wasserwesen aus Liebe zu einem Menschen werden möchte. Rusalka träumt davon auf dem Grunde ihres Meeres, der überzogen ist von großformatigen, kugeligen Gebilden. Sie werden in jeder Szene zu sehen sein – mal als Kiesel des Meeresgrundes, auf denen die Nixen herumtollen, mal in Miniaturversion in einer Vitrine als Erinnerung an die Heimat, mal als Monde im Weltall (Bühne: Klaus Grünberg). Zu Beginn tollen die Nixen zwischen ihnen herum. Sie rutschen von ihnen herunter, schmiegen sich an sie. Das Meer ist für sie ein Spielplatz. Umso weniger können sie Rusalka verstehen, die diesen Ort verlassen möchte.
Kiesel in der Vitrine
Im Schloss des Prinzen angekommen, tauchen diese Kiesel wieder auf. Rusalka hat sogar welche mitgenommen. In einer Vitrine werden sie als Erinnerung an ihr Zuhause verwahrt. Als eine der Damen einen Kiesel aus Versehen zerbricht, ist der Schmerz Rusalkas groß. Immer mehr wünscht sie sich zurück. Doch das wird ihr nicht gelingen. Sie ist dazu verdammt, zur Wanderin zwischen den Welten zu werden. Und auch hier tauchen die Kiesel wieder auf. Wie Monde glänzen sie im kalten Licht des Universums. Unwillkürlich wähnt man Rusalka in den unendlichen Weiten des Alls, in dem sie irrlichtert. Es ist diese Zwischenwelt, in der der Wassermann wie auch ihr geliebter Prinz sterben werden. Aus einer Geschichte, die das Gute suchte, ist eine geworden, die traurig endet.
Es ist dabei kein Zufall, dass Rusalka als Mädchen dargestellt wird. Sie trägt die Haare kinnlang, im Schloss erhält sie ein helles Kleidchen mit Rüschen. Die kindliche Naivität an das Gute im Menschen, die sie antreibt, steht im krassen Gegensatz zu den Damen und Herren der feinen Gesellschaft. Da kann es kein Zufall sein, dass ausgerechnet die Damen Kleider in dunklem Violett tragen – der Farbe, die Reichtum und Adel symbolisiert (Kostüme: Barbara Drosihn).
Vom Mädchen aus dem Meer
Durchaus menschlicher sind da der Wassermann in Flipp-Flops und auch die Hexe Jezibaba, die wie beim Besuch der alten Dame, mit Stock und Sonnenbrille und in Gummistiefeln Träume erfüllt, aber um die Gefahren dieser Träume weiß. Beide – Wassermann wie Hexe – erschienen wie ein liebendes Elternpaar, das die eigene Tochter nicht retten kann. Doch die Tochter selbst entwickelt eine ungeahnte Stärke. Als Irrlicht im All entledigt sie sich nicht nur der Rüschen ihres Prinzessinnenkleides. Sie weiß auch um ihre Macht, Menschen den Tod zu bringen.
Gelungene Inszenierung
Dies alles ist nicht nur sehr schön erzählt. Das Niedersächsische Staatsorchester unter Generalmusikdirektor Stephan Zilias lässt Dvoráks Musik in voller erzählerischer Kraft erklingen. Kiandra Howarth als Rusalka nimmt man die Wandlung vom Mädchen zur Frau ab. Monika Walerowicz ist eine großartige Hexe neuen Typs. Sie ist eher eine Zauberin, eine Dame, die durchaus nicht nur Härte besitzt. Und Shavleg Armasi trägt seine Flipp-Flops so selbstbewusst wie es nur ein echter Herrscher der Weltmeere tun kann. Er ist ein väterlicher Herrscher, der seine verletzlichen Seiten hat.
Tatjana Gürbaca erzählt eine alte Geschichte mit ihrer ganzen symbolischen Kraft: es ist die Geschichte einer Entwicklung. Aber auch die Geschichte einer Gesellschaft, die kälter als der Meeresgrund ist. Wer sich schon immer einmal gefragt hat, wie es nach einem Film mit Happy End eigentlich weiter geht, der kann hier viel lernen.
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