Die Wolfsburgerin Giovanna Scoccimarro kam nach Hannover, um am Judo-Bundesstützpunkt zu trainieren.
Text: Karen Roske, Fotos: ijf.org
Giovanna Scoccimarro sammelt Punkte für 2024
Das Stimmengewirr von rund 50 Judoka, die sich in der weiten Halle am Olympiastützpunkt Hannover verteilen, nimmt langsam ab. Kinder und Teen ager versammeln sich im hinteren Bereich. Vorne stellen sich zwei Dutzend junge Erwachsene in einer Reihe auf, ihrem Trainer gegenüber. Sie verneigen sich. Er gibt kurze Anweisungen für die folgenden Bodenübungen. Wie die Trainingspaare dann ihre Glied maßen verknoten und sich übereinander rollen, sieht auf den ersten Blick ganz leicht aus. Doch die Anstrengung zeigt sich an roten Köpfen oder zu Berge stehenden Haaren, hier und da ertönt ein Stöhnen. Eine Judoka überragt die anderen jungen Frauen. Auf ihrem Rücken stehen „Scoccimarro“ und das Kürzel „GER“ für die Nationalmannschaft, vorne prangt der Bundesadler. Giovanna Scoccimarro, 25 Jahre alt und 1,78 Meter groß, trainiert hart, um nach einer Verletzung wieder genug Punkte für den Olympiakader 2024 in Paris zu sammeln.
Andere Länder, andere Sitten
In Tokio hat sie 2021 mit dem Mixed-Team die Bronze-Medaille erkämpft. Im Einzel kam sie auf den fünften Platz. „Es ist eine besondere Ehre, wenn man sich im Mutterland des Judo bei den Olympischen Spielen beweisen kann“, sagt sie und klingt aufrichtig ehrfürchtig. Seit zehn Jahren ist sie Leistungssportlerin und war seitdem regelmäßig in Japan. Sie mag das Land, das Essen und die Kultur, in der sich die Judo-Werte spiegeln: Respekt gegenüber Älteren, Höflichkeit und Freundschaft. Allerdings sei es nach zwei Wochen auch schön, wieder zum rustikaleren Umgang in Norddeutschland zurückzukehren. Lachend erzählt sie: „Man gewöhnt sich an die japanischen Sitten und bringt sie mit nach Hause, aber wenn ich mich dann aus Versehen vor meinem Chef verbeuge, hält der mich doch für verrückt!“
Judo ist nicht der Hauptberuf von Giovanna Scoccimarro
Giovanna Scoccimarro arbeitet bei VW in Stöcken, dank einer Sportförderstelle in Teilzeit, mit Freistellungen für Trainingslager und Wettkämpfe. Ihre Ausbildung zur Kauffrau für Büromanagement hatte sie in Wolfsburg begonnen, nur ein paar Kilometer entfernt von ihrem Heimatdorf im Landkreis Gifhorn. Nach einem Jahr wechselte sie nach Hannover und wohnte zunächst in einer Sportler-WG für Bundeskaderathleten. Mittlerweile lebt sie in einer eigenen Wohnung in der Nordstadt und ist froh, zwischen den vielen Reisen mit dem Judo-Team auch mal für sich zu sein.
Judo liegt in der Familie
Zum Judo kam sie schon als Kleinkind, durch ihre beiden älteren Brüder. Sportlich hat sie die beiden überholt – aber auf die Matte legen könnte sie sie mit ihren 70 Kilo Kampfgewicht kaum. „Höchstens den mittleren, wenn ich gerade eine Glückssträhne habe“, sagt sie verschmitzt. Beide Brüder sind als Judo-Trainer beim Wolfsburger MTV Vorsfelde aktiv. Das ist auch Giovannas Verein, für den sie in der Bundesliga kämpft.
Die Scoccimarros sind eine „VW-Familie“. Giovanna wurde von Wolfsburg nach Hannover ausgeliehen, damit sie am Bundesstützpunkt rund 20 Stunden pro Woche trainieren kann. Mindestens bis 2028 will sie bleiben – dann sind die Olympischen Spiele in Los Angeles.