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Messe-Stadt im Umbruch: Was sich ändert und wie gut Hannovers Image wirklich ist

18. August 2022

Langweilig, zugebaut und nur durch die Messen bekannt? Im Gespräch mit nobilis-Chefredakteurin Marleen Gaida zeigt Tourismuschef Hans Christian Nolte auf, wie gut das Image bundesweit ist und woher die Mentalität der Hannoveraner rührt.
Text: Marleen Gaida  Foto: Nadja Mahjoub

Lieber Hans Christian Nolte, reden wir über die Messe der Zukunft: Wie kann es für die Messe-Stadt Hannover nach der Pandemie weitergehen?

Hans Christian Nolte: Wir haben eine absolute Neuordnung in dem Bereich der Messen. Dies gilt nicht nur für Hannover, das gilt für alle Messe-Standorte bundesweit. Wir stehen vor neuen hybriden Herausforderungen. Hier in Hannover haben wir eines der größten Gelände der Welt. Ob dies noch Aushängeschild ist in der Zukunft, das wissen wir jetzt noch nicht. Diese riesigen Flächen werden nur noch drei bis vier Mal im Jahr gebraucht. Das bedeutet, dass dies der erste Knackpunkt in der Neuausrichtung ist. Ein Messegelände wird neben der Ausrichtung der klassischen Messe zur Multifunktionsarena für Konzerte, Tagungen, Co-Working-Spaces oder Hybrid-Veranstaltungen. Also modulare Veranstaltungen, die früher den Kongresszentren oder Hotels vorbehalten waren.

Foto: Kevin Münkel – Das Maschseefest zieht jährlich Millionen Besucher an.

Wie sehr hat die Pandemie in der Hotellerie und Gastronomie Spuren hinterlassen. Können wir die geringeren Besucherströme durch weniger Messetage auffangen?

Hans Christian Nolte: Ich glaube, ja. Wir haben sogar bis ins erste Quartal 2020 die besten Vorbuchungen aller Zeiten gehabt. Wir hatten vor der Pandemie eine sehr gute Auslastung mit bis 87 Prozent der Zimmer, das lag natürlich auch an den vielen Geschäftsreisenden. Dies wieder zu erreichen ist ganz schwer. Da helfen uns jetzt die großen Hoffnungsträger Hannover Messe und IAA Nutzfahrzeuge. Dabei ist das Nebengeschäft mit kleineren Messen wie der neuen „Dream Hack“ auch sehr wichtig, die können die Basisauslastung mit ankurbeln.

Die Stadt hat seit letzten Jahr ein Kongressbüro. Wer leitet dies, und was sind die Ziele?

Hans Christian Nolte: Zur Erklärung: Eine Kongress-Initiative gab es seit 2006 – die Hannover Convention. Ein Zusammenschluss aus Messe, HCC und damals der MHH mit dem Ziel, Medizinkongresse zu akquirieren. Dieser Zusammenschluss wurde vor rund zwei Jahren aufgegeben, da neue Ziele definiert wurden, die das Büro nicht mehr bedienen konnte. Der Wirtschaftsausschuss der Region Hannover stellte dann 300.000 Euro für ein neues Kongress- und Veranstaltungsbüro zur Verfügung. Die Landeshauptstadt schloss sich der Initiative an. Im Jahr 2020 brach dann mit der Corona-Krise alles zusammen. Sofort waren sich alle einig: Wir müssen etwas tun. Und so entstanden die Ziele des heutigen Kongress- und Veranstaltungsbüros. Mit einiger Verzögerung haben wir eine Managerin gefunden, die aktuell mit einem Team von insgesamt drei Personen in diesem Büro tätig ist. Zum jetzigen Zeitpunkt arbeitet das Büro an Veranstaltungen und Kongressen für die Jahre 2024 und 2025. Alle anderen Veranstaltungen beruhen auf Nachholeffekten der letzten zwei Jahre. Weitere Ziele sind, die Region Hannover auf allen Messen zu vertreten, zum Beispiel auf der IMEX in Frankfurt und der IBTM in Barcelona. Aber auch die Kooperation mit dem German Convention Bureau, die Roadshows auf der ganzen Welt machen.

Wo sehen Sie die Stärke von Hannover derzeit?

Hans Christian Nolte: Wir müssen nicht die großen Kongresse suchen, sondern wir sollten uns auf kleine Kongresse und privaten Veranstaltungen konzentrieren. Das ist unsere Stärke: Veranstaltungen mit bis zu 1000 Personen, in hoher Frequenz, da kann ein Kongressbüro etwas machen. Messen und Großveranstaltungen haben einen Vorlauf von vier bis fünf Jahre, und dafür gibt es Fachleute und Experten bei der Deutschen Messe AG. Aber grundsätzlich verkaufen wir Hannover nicht über Image.

Foto: Kevin Münkel

Sondern?

Hans Christian Nolte: Über klare Fakten. Wir haben 320 Leistungsträger, wir haben ein großes Messegelände, wir haben ein Kongresszentrum. Wir können all‘ das zentral bieten, mitten in Europa. Und das mit den optimalen Verkehrsanbindungen. Flughafen, Auto, ICE – wir haben das größte ICE-Netz, Touristen können zu uns mit dem Boot über den Mittellandkanal kommen, aus Slowenien. Wir arbeiten mit den Fakten – für Image braucht man viel Geld. Die Entscheidung für Hannover ist rational, nicht emotional. Wir werben mit den rationalen Gründen einer effektiven Veranstaltung, die die maximalen Umsätze für den Ausrichter ergibt.

Wichtige Fakten für die Argumentation, weil wir nicht mehr mit den Massen an Besuchern in der Landeshauptstadt rechnen können?

Hans Christian Nolte: Ich gehe davon aus, dass die Besucherströme auf den Messen sich in den nächsten fünf bis sechs Jahren um rund 30 Prozent verringern werden. Dadurch bedingt, dass es immer mehr digitale Formate geben wird. In den letzten zwei Jahren haben alle mittelständischen und großen Unternehmen ihre eigenen Fernsehstudios aufgebaut, um sich direkt in die Formate der Messen einzublenden. Das bedeutet, es gibt im interkontinentalen Bereich zunehmend digitale, Video- und TV-Konferenzen. In Europa werden die Menschen weiterhin viel reisen, da sie sich hier sicher fühlen. Hier werden die Einbrüche bei etwa 20 bis 25 Prozent liegen. Also, es gibt eine neue Welt nach Corona, aber auch nach dem Krieg in der Ukraine. Es wird sich jetzt zeigen, ob die Welt zusammenrückt oder weiter auseinanderdriftet.

Hannover pflegt seit jeher ein gewisses Understatement. Wie sehr ist das ihrer Meinung nach auch 2022 noch der Fall, und woher kommt das?

Hans Christian Nolte: Alle Umfragen sagen, dass über 80 Prozent der Hannoveraner gerne in ihrer Stadt leben, da man viel machen kann, kurze Wege hat und die Lebensqualität einfach super ist. Das Problem ist nur, das man dieses gut gehütete Geheimnis, hier sein zu wollen, einfach für sich behält. Ein Kölner könnte Ihnen sofort mehrere Gründe nennen, warum es so schön ist, in seiner Stadt zu leben. Ganz abgesehen von einem Münchener. Wir werden als Stadt von außen mehr respektiert, als dass wir uns selbst respektieren. Das ist einfach eine Mentalitätsfrage, und das fängt schon in Oldenburg an.

Foto: Deutsche Messe AG – Hannover ist unter anderem für sein großes Messegelände bekannt.

Womit erklären Sie sich diese Mentalität?

Hans Christian Nolte: Zufriedenheit. Wenn sich anderswo Leute aufregen, ist das für Hannoveraner noch lange kein Grund, sich aufzuregen. Gefühle brechen einzig und allein aus, wenn es um Hannover 96 geht. Darüber ärgern sich die Menschen. Im Allgemeinen lautet das Motto der Hannoveraner: Es wird schon werden, wir haben bisher alles geschafft.

Der Claim aus dem Jahr 2021 lautete wohl deshalb auch „Aufregend unaufgeregt“. Von vielen wurde er zum Teil heftig kritisiert. Wie stehen Sie heute zu dem Claim?

Hans Christian Nolte: Wir haben diesen „Claim“ damals als Hashtag produziert, als Positionierung des Standorts für Fachkräfte. Das war 2018 und 2019, da fing die Fachkräftekrise in der IT und Automobilwirtschaft an. Die Frage war: Wie können wir uns im Kampf um Arbeitskräfte gegenüber anderen Städten wie Berlin, Hamburg, München positionieren. Dem sind wir gemeinsam mit einer Agentur auf den Grund gegangen. Konsens war, wir haben eine aufregende Stadt, und wir haben einen unaufgeregten Lebensstil. Das sollte das Argument zur Anwerbung von Fachkräften sein. Wir wollten die positiven Seiten unserer Mentalität spiegeln und kommunizieren. Wenn ich das Ganze ins Englische übersetze, heißt es „excitingly relaxed“. In der deutschen Sprache wurde das unaufgeregt anscheinend von wenigen mit langweilig in Verbindung gebracht. Die Engländer haben gesagt „cool“.

Wird es eine neue Kampagne geben? Was sind derzeit die Themen, was muss beworben werden?

Hans Christian Nolte: Urlaub in Deutschland ist das Thema. Der private Konsum funktioniert besser und schneller als der geschäftliche Konsum. Daher bewerben wir jetzt diesen Sektor. Wir konzentrieren uns auf Familien. Die Wochenenden sind derzeit stärker gebucht. Wir haben also einen privatmotivierten Tourismus durch Veranstaltungen und Ausflüge. Ein Hotelier sagte mir, er hätte noch nie so viele Poolnudeln in der Hotellobby gesehen wie jetzt. Deswegen konzentrieren wir uns auf unsere Stadtkultur: Roter Faden, Museen, Deister, Steinhuder Meer, Calenberger Land. Und die Pferderegion mit Uetze und Langenhagen. Die Leute wollen am Wochenende raus. Das bringt uns viele Reservierungen. Auch die Niederländer und Belgier besuchen uns wieder vermehrt für Kurztrips.

Foto: Florian Arpt – In Hannover findet das weltgrößte Schützenfest statt.

Wie aufregend wird es in Hannover im Jahr 2022? Was sind die Highlights?

Hans Christian Nolte: Als Erstes gibt es den Internationalen Feuerwerkswettbewerb in den Herrenhäuser Gärten. Das internationale Aushängeschild für Herrenhausen. Wir haben fünf Botschafter zum Jubiläum mit dem Motto „5 Termine – 5 Teams – 5 Kontinente“, die ihre Länder hier vertreten: Asien, Afrika, Amerika, Australien, Europa. Damit geht Hannover durch die Welt und bringt uns viele internationale Besucher. Natürlich ist das Maschseefest auch sehr wichtig. Es hat uns viel Arbeit im Team gemacht, da derzeit durch die Auswirkungen der Corona-Pandemie und den Krieg in der Ukraine viele Mittel gebunden sind. Es ist schwer, an Arbeitskräfte, Schwerlastböden oder WC-Anlagen zu kommen, um nur einige Beispiele zu nennen. Auch Sanitätsdienste, Feuerwehr und Polizei sind sehr belastet. Wir sind im Krisenmodus. Damit verbunden gehen die Preise umgangssprachlich „durch die Decke“. Viele Dienstleister haben ihr Geschäftsmodell in den letzten Jahren geändert oder sind nicht mehr am Markt, wie z. B. Stromdienstleister und Anbieter aus der Veranstaltungstechnik.

Sie haben es trotzdem geschafft, ein Fest auf die Beine zu stellen. Was erwartet die Besucher?

Hans Christian Nolte: Es wird wieder eine kulinarische Reise um die Welt geben. Wir haben acht neue Gastronomen auf dem Fest, zum Beispiel einen Stand mit dänischen Spezialitäten. Außerdem wird es einen Food-Market geben. Neu ist, dass das Fest etwas gedämpfter sein wird. Wir werden den musikalischen Fokus zurückfahren und das Fest-Programm bewusst eine Stufe ruhiger gestalten.

Was sind Ihre Wünsche für die nächsten Jahre?

Hans Christian Nolte: Das wir alle zusammen sagen: „Hannover ist cool“. Wer einmal hier war, eine gute Zeit hatte und gastfreundlich behandelt wurde, geht als guter Botschafter von Hannover wieder raus in die Welt – dann haben wir mit unserem Image kein Problem.

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