Zum Inhalt springen

IN VINTAGE VERITAS: „Es geht um das richtige Sehen“

16. Juli 2022

Oldtimer, die in der Sonne glänzen, Flaggirls mit schwarz-weißen Fahnen, Rennfahrer mit offenen Helmen und Vintage-Brillen: Die Bilder,
die Johannes Huwe macht, katapultieren Betrachter geradewegs in die Vergangenheit. Über den Zauber des Moments – und einen außergewöhnlichen Künstler.
Text: Luisa Verfürth  Fotos: Johannes Huwe
Johannes Huwe hat oft nur diesen einen Moment. Diesen Moment, in dem der Fahrer nach dem Rennen in der Wüste Kaliforniens aus seinem Cockpit aussteigt. Oft hat der vor dem Rennen schon eine halbe Stunde bei 40 Grad im feuerfesten Overall auf den Start gewartet, ehe er losrast, rauf auf die Rennstrecke, über den trockenen, aufgerissenen Sandboden, Staub wirbelt auf, der Fahrer bremst mit seinem Fallschirm – wenn all das passiert, rast Johannes Huwe mit seinem Leihwagen neben dem anderen her und bleibt genau dort stehen, wo auch der andere hält.
„Meist ist das Letzte, was die Fahrer in diesem Moment wollen, ein Porträt zu machen“, sagt Huwe. Aber über die letzten fünf Jahre hat er sich mit den Fahrern angefreundet. Huwe ist bekannt und akzeptiert. So hat er die Möglichkeit, diese Bilder zu schießen – Bilder, die mitnehmen in eine andere Welt. Die Bilder in der Wüste sind bei dem „Land Speed Racer“ entstanden, einem Rennen auf dem Salzsee El Mirage in Kalifornien, rundum nur Wüste und Himmel, ein Ort wie auf einem surrealen Kunstwerk.

Huwes ist leidenschaftlicher Porsche-Fan – und fotografierte auch bereist für die Marke.

Andere von Huwes Bildern zeigen Rennfahrer, Autos und schwarz-weiße Flaggen vor einem endlos scheinenden Strand: blauer Himmel, Reifenspuren im Sand. Fotografiert hat er hier bei dem Rennen „The Race of Gentlemen“ am Strand von Wildwood, New Jersey. Man möchte die Schnurrbärte der Männer auf den Fotos zwirbeln, riecht das alte Leder ihrer Helme, fühlt den Druck der alten Fliegerbrillen um die Augen und meint, einen Hauch des Zigarettenrauchs zu riechen. Hier sind Harley-Davidson-Pullover mit einer Fliege garniert, Frauengesichter mit Schmetterlingssonnenbrillen. Zu dem Rennen sind nur Autos zugelassen, die vor 1935 gebaut wurden, Ersatz- oder Anbauteile dürfen spätestens aus den frühen Fünfzigern stammen. So ähneln die Fahrzeuge antiken Spielzeugautos.

Zeitreise in die Vergangenheit

Die Liebe zu den alten, echten Dingen begleitet Johannes Huwe sein Leben lang. Zwar studierte der Hannoveraner zunächst Informatik und Elektrotechnik und gründete 1993 eine Agentur für digitale Kommunikation. Doch seine wahre Leidenschaft galt der Fotografie. Vor einem Jahr verkaufte er seine Agentur, um mit der Kamera auf die Reise zu gehen. Rund drei Monate im Jahr ist er unterwegs, wenn er durch Amerika, Grönland, die Arktis, Patagonien oder die Vogesen fährt. Die dabei entstandenen Bilder bereitet Huwe zurück in Wunstorf am Steinhuder Meer dann auf.
Seine Bilder entführen den Betrachter in eine andere Welt. „Die Menschen hier leben für das, was hier passiert“, sagt Huwe über die Teilnehmenden der Rennen, „das ist auch der Unterschied zu Deutschland, wo man sich am Wochenende mal in Schale wirft, wenn man mit seinem Oldtimer rausfährt.“ Die Charaktere, die vor seiner Linse stehen, sind vintage, vom Schnürsenkel bis zum Wagenheber.
Selbst scheinbar gewöhnliche Orte erachtet Huwe als würdiges Motiv. „Gerade in Iowa haben mich die Menschen oft gefragt, was ich denn hier fotografiere. Das sei doch hier alles hässlich. Aber für mich liegt die Schönheit im Morbiden.“ Um ihn herum Palmen, Motels, Straßenschilder. Szenerien wie aus der Zeit gefallen.

Das Fotografieren brachte Johannes Huwe sich selbst bei. Seine Bilder sind unter anderem in seinen Büchern „World of Speed“ (2015) und „The Race of Gentlemen“ (2016) veröffentlicht.

Doch nicht nur die Autos, die Huwe auf seinen Bildern festhält, entstammen früheren Zeiten. Auch bei seiner Kamera ist das der Fall: Denn Huwe fotografiert fast ausschließlich analog mit einer Leica und einer Hasselblad. „Ich mag die Lebendigkeit, die analoge Bilder mit sich bringen. Die digitale Fotografie wirkt mir im Gegensatz dazu meist zu glatt“, sagt er. Und was am Ende oft wie ein romantischer Schnappschuss wirkt, ist vorab bis ins Detail geplant: So überlegt Huwe sich vorher, bei welchen Koordinaten er das Bild aufnehmen will, zu welcher Uhrzeit, wo die Sonne zu diesem Zeitpunkt steht, wie der Hintergrund aussieht. „Das ist vielleicht das Wichtigste als Fotograf, dass man sich das fertige Bild schon vorstellen kann“, sagt Huwe. „Fotografieren ist für mich eine Handwerkskunst.“ Um die 60 Filme bringt Huwe meist von seinen Foto-Reisen mit nach Hause, meistens 120 Mittelformatfilme. Auch die Aufbereitung übernimmt er selbst: „Ich entwickle meine Bilder auch alle bei mir zu Hause in der Dunkelkammer.“
„Flaggirl“ heißt dieses Motiv. Es wurde in New Jersey aufgenommen.

Ausstellung im Kunstladen

Zu sehen sind Huwes Bilder im Kunstladen, eine Galerie mit Zusatzoption: Besucher und Besucherinnen können die dort ausgestellten Werke nicht nur ansehen, sondern auch ausleihen oder kaufen. Am 8. Juli eröffnet Huwes Ausstellung „In Vintage veritas“ im Kunstladen. Der Fotograf wird selbst da sein, denn er findet es schön: „Endlich mal wieder in der Heimat ausstellen.“
Langfristig zieht es ihn aber wieder in die Ferne. „Eigentlich möchte ich erst mal wieder nach Amerika. Ich habe dort noch so viele Ideen, die ich noch umsetzen möchte.“ Er zeigt sein Handy. Ungefähr 300 Standorte drängeln sich rund um seine „Americana“-Route, und so nennt Huwe auch sein neuestes Projekt, das im Kunstladen zu sehen sein wird. Außerdem wartet dort sein Buddy, Begleiter und Bildmotiv in einem: ein Gemini-blauer Porsche, Baujahr 1975.
www.johanneshuwe.com
In Vintage Veritas | Johannes Huwes Welt-Anschauung 8.Juli – 24. Juli 2022
Kunstladen | Lister Platz 3 | Tel. 0176/ 77477737 | www.kunstladen.com

ÄHNLICHE ARTIKEL