Patagonien, die Hochalpen und immer wieder Island: Peter Lang liebt als Landschaftsmaler extrem lange und aufwendige Projekte. Das kühnste führte ihn in diesem Sommer einmal um Island herum – auf einem schwankenden, alten Fischerboot hat er die Küstenlinie hundertfach gemalt. Die Kunst-Reise geht nun in Hannover weiter: Aus den Eindrücken der Reise fertigt ein Druckroboter riesenhafte Skulpturen, live zu sehen ab Mitte März im gläsernen Ausstellungsraum im Sprengel Museum.
Text: Gerd Schild Fotos: Martin Hangen
Die Páll Helgi pflügt durch den blauschwarzen Atlantik. Vor ihr Wasser, am Horizont zerklüftete Steilwände. Der Dieselmotor rattert, aus dem Schornstein dringt dunkler Qualm. 40 Jahre lang haben Fischer mit diesem Boot Kabeljau und andere Meerestiere vor Islands Küsten eingefangen. Nun steht dort, wo die schmale Luke in den Frachtraum führt, Peter Lang. Der bärtige Mittfünfziger aus Bayern, dicke, schwarze Kopfhörer auf den Ohren, hält sich am selbst gezimmerten Holztisch fest. Damit er beim Malen nicht ins eiskalte Meer fällt. Lang wippt hin und her, nimmt einen Schluck aus der schwarzen Dose mit dem Black Sheep Dark Lager. Noch ein paar Striche braun – dann ist das Bild fertig, Nummer 4, Lang macht mit dem schwarzen Edding einen Strich an der weißen Zeltinnenwand. Mehr als 400 werden folgen auf dem Weg von Peter Lang einmal herum um Island.
Es sind die extremen Projekte, die Peter Lang anziehen. Noch zu Schulzeiten sichert er sich die erste Auftragsarbeit: ein mehr als 60 Meter breites Wandvlies für das Bad Tölzer Eisstadion. 5000 Mark gibt es dafür und drei Wurstsemmeln am Tag bei der nahen Metzgerei frei. Seitdem kann er von der Kunst leben. Als er nach dem Kunststudium in München keine Galerie fand, die seine Werke ausstellen wollte, mietete er kurzerhand ein kleines Ladengeschäft und verkaufte seine Bilder dort. „Was der Metzger mit seinen Wurstsemmeln kann, kann ich auch“, sagte er sich.
Island: sein kühnstes Projekt
Peter Lang malt am liebsten Landschaften. Er liebt Island. Und wie könnte er die Insel besser malen als vom Meer aus? Eine Perspektive, die sonst kaum jemand einnimmt. Das war die Grundidee zum bisher kühnsten Projekt des Künstlers. Vor Jahren hat er sich einen Überseecontainer zum mobilen Atelier umbauen lassen – und ihn für Monate aus dem kleinen Ort Gleißenberg in der Oberpfalz, in dem Wohnhaus und Atelier stehen, nach Patagonien, in die Hochalpen und vor einen isländischen Vulkan bringen lassen.
Nun also mit dem Boot in zwei Monaten einmal um Island herum, das sichere Land immer nah und doch fern, in diesem Schwebezustand will Lang die nächsten Wochen verbringen. Geschützt nur von einem vorne offenen weißen Pavillon-Zelt.
Rückblick: Ein warmer Mai-Tag 2021 in Hannover. Peter Lang und seine Frau Gabriele Lang-Kröll haben den Kleinbus der Familie vor dem Sprengel Museum geparkt. Vollgestopft ist der Wagen mit Schlafsäcken, warmer Kleidung, Werkzeug, Dutzenden Pinseln aus Tierhaaren, zig Farbendosen und mehr als 600 großen Bögen handgeschöpftem Papier. Was man eben so braucht, wenn man auf einem alten Fischerboot in zwei Monaten Island umrunden will und die Insel dabei hundertfach malen möchte.
Hannover ist nicht nur ein guter Halt, weil es einigermaßen in der Mitte liegt zwischen der Heimat von Peter Lang in der Oberpfalz und der dänischen Küste, von der die Fähre nach Island ablegt. Die Langs sind auch verabredet mit einem Team des Museums, darunter Direktor Reinhard Spieler. Sie klären die letzten Details für Langs Ausstellung in einem der wichtigsten Häuser für zeitgenössische Kunst in Deutschland. „Ein Traum wird wahr“, sagt Peter Lang am Rand der Außenterrasse des Museums, wippt mit den Füßen hin und her und blickt auf den Maschsee.
Auf große Fahrt
Drei Wochen später, Mitte Juni 2021, die Westfjorde Islands. In dieser Region ist selbst für isländische Verhältnisse wenig los. Die Natur dafür umso spektakulärer. Felswände ragen empor, verschiedenste Grüntöne findet das Auge beim Blick auf das Land, Moos, das die erkaltete Lava bedeckt. Im Wasser unzählige Fische, an den Steilhängen unzählige Vögel. Am Himmel ein hellblaues Leuchten in diesen Tagen im Jahr, an denen es praktisch nicht dunkel wird. Die Páll Helgi startet aus dem kleinen Hafen von Bolungarvik in den Atlantik. Das kleine Fischerboot aus Eichenholz, 16 Meter lang, 4 Meter breit, 30 Tonnen schwer, hat in seinen 40 Jahren auf See nur den Norden Islands gesehen. Jetzt also die große Fahrt. Bilder einfangen, wie Lang das Projekt für sich nennt.
Der Páll Helgi sieht man die 40 Jahre als Kutter an. Alles riecht nach Fisch. Zwei Wochen lang hat das Team alles rausgerissen, was nicht gebraucht wird, das geschrubbt, was drin bleiben sollte, immer wieder. Jetzt kann das Malen also beginnen. „Ich muss alle meine Ansprüche über Bord werfen“, sagt Peter Lang, bevor er aufs Boot springt, auf dem Pier im Hafen von Bolungarvik. Das muss nicht schaden: In der Jugend hat er einmal seinen Zeichenblock an den Fahrradlenker angeschraubt und freihändig fahrend gezeichnet. Auch mit diesen Bildern wurde er an der Kunsthochschule angenommen, erzählt Lang.
Kinderreiche Künstlerfamilie
Ein kleines Team macht sich auf die Reise. Der Künstler, der Kapitän, der Koch und die Frau, die das alles mitorganisiert hat. Gabriele Lang-Kröll hat Forstwissenschaft studiert. Als sie das Studium abschließt, haben die beiden schon drei Kinder. Jetzt das Referendariat machen, wochenlang am Stück in Forsthütten, wie sollte das gehen? Also konzentrierten sie sich auf das Familienunternehmen. Ohne die Kritikerin, die Planerin an seiner Seite hätte er das nie geschafft, weiß Peter Lang. „Beständige Veränderung“, so nennt sie das Leben in der Künstlerfamilie. Die Kinder, fünf sind es, haben alle einen künstlerischen oder handwerklichen Weg eingeschlagen.
Die See wird unruhiger. Loftur Bjarnason steuert die Páll Helgi auf den offenen Atlantik. Der Isländer sieht aus, wie man sich einen Kapitän für eine solche Fahrt wünscht. Fast zwei Meter groß, von positiver Sachlichkeit, ein Macher, der gerne lacht. Er ist nicht nur Kapitän, er hat auch das Mechaniker-Patent. Den Motor hat er in den Tagen vor dem Start generalüberholt. Und er wird auch in den zwei Monaten noch einiges mit dem Werkzeugkasten zu tun haben. Nur als die Starkstromleitung anfängt zu schmoren, da haben sie wirklich Glück, dass das Eichenboot nicht Feuer fängt. Er steht in dem engen Raum, vor ihm die Geräte zur Navigation, hinter ihm das heiße Abgasrohr des Motors, das die Kabine und die klaustrophobisch enge Toilette dahinter aufheizt.
Wenn man zwei Monate fast durchweg auf See ist, werden die Mahlzeiten umso wichtiger. Auch deshalb ist Sigfus Almarsson dabei. Der gute Freund des Künstlers, 66 Jahre alt, hat lange ein eigenes Restaurant geführt, Fisch war seine Spezialität. Der Vater des Mannes, den alle nur Fusi nennen, war Fischer und immer lange weg.
Die Páll Helgi kann nicht durchweg nah an der Küste fahren, zu flach ist das Wasser an manchen Stellen. Draußen ist der Seegang gleich stärker. Wer nicht über Jahre Atlantikfischer war, hält sich besser ordentlich fest, um nicht über die flache Brüstung ins Meer zu fallen. Peter Lang scheint das Dröhnen des Motors, der eisige Wind dieser ungewohnt kalten Sommertage, das Schwanken des Bootes nicht zu stören. Er ritzt mit seinen Fingernägeln Linien in das Papier. Schaut auf die Küste und beginnt, mit dem Pinsel und den Wasserfarben das zu malen, was er sieht und was ihn seit Jahrzehnten immer wieder nach Island zieht: Der so hell leuchtende blaue Himmel, die unendlich vielen Braun- und Grüntöne von Lava und Moos und das Meer. Lang macht immer wieder Ausfallschritte, um das Schwanken des Bootes auszugleichen. Bei Bild 7 ist die See so richtig rau, Grönland ist von hier nicht mehr weit. Etwas vom Rot spritzt auf das Bild. Lang meckert kurz, aber das gehört eben dazu. „Das bleibt!“ Lang schreibt am unteren Bildrand noch die Koordinaten auf das Bild, die ihm der Kapitän durch den Lärm zuruft. Dann kommt es in den Frachtraum unter ihm. Wartet, wie früher der Fisch, auf Kundschaft.
18 Stunden am Stück malend
Nach mehr als 15 Stunden auf dem Wasser endet das erste Teilstück in Drangsnes. Der Kapitän besucht die Familie, der Rest der Crew fährt zu einem heißen Bad direkt am Wasser. Viele isländische Häuser werden mit Wasser aus der Tiefe geheizt, das überschüssige Nass fließt in die großen Badewannen am Meer. Draußen sind es vier Grad, der Wind pfeift, und die Haut protestiert, wenn man von der Dusche im kleinen Umkleideraum in Badehose über die Straße huscht. Nach fünf Minuten im Hot Tub: ein Schnarchen, Peter Lang ist im 40 Grad warmen Wasser eingeschlafen. Die ersten Tage fordern Künstler und Crew. Einmal, auf der längsten Etappe, malt Peter Lang 18 Stunden am Stück. Erst nach zwei Wochen an Bord wird er merken: Ich falle ja abends nicht mehr todmüde ins Bett, wir können noch lachen, Karten spielen, Witze erzählen.
Fische fangen sie auch auf dem zum Malboot umgebauten Kutter. Die gibt es zum Abendessen in einer kleinen Bucht im Norden. Ein paar Häuser sieht man in der Gegend, in die keine Straßen führen. Der Kapitän lässt den Anker ins Wasser. Sigfus Almarsson und Gabriele Lang-Kröll lassen die Leinen mit den Fischködern ins Wasser. Nach ein paar Minuten ist der Eimer voll mit Kabeljau. Peter Lang nimmt die Fische aus, Almarsson trennt die Filets heraus und wirft den Rest wieder ins Wasser. Auf dem Grill zerfällt der Fisch dann etwas, zu frisch, eigentlich muss er einen Tag ruhen, aber mit Öl, Pfeffer und Salz gewürzt ist er trotzdem sehr lecker. Dazu gibt es Kartoffeln und Möhren. Es wird das Standardessen der nächsten Wochen werden.
Island ist ein neues, von Vulkanen geschaffenes Land. „Mich fesselt das Ursprüngliche dieser Insel“, sagt Peter Lang. In diesen manchmal unwirklichen Landschaften fand er ein zweites Zuhause, im Westen von Island. Dort, rund um den Vulkan Snaefellsjoekull, gibt es eine außergewöhnliche Vielzahl an Mineralien. Mit seinem Freund David Kremer, der eine Pigment-Manufaktur leitet und ihm die Farben für die Reise gemischt hat, sammelte Peter Lang zur Mittsommerzeit drei Erdfarben. Sein eigentliches Markenzeichen, wenn er nicht auf einem Schiff arbeitet, ist das Malen mit der Schlagschnur. Damit werden sonst auf Baustellen Linien aus Kreide an die Wand gedrückt. Lang füllt die Kreidekammer mit Pigmenten und lässt die eingefärbte Schnur dann auf die nasse Leinwand schlagen.
Mit jedem Projekt ist Peter Lang gewachsen und auch bekannter geworden. Nun folgt der nächste Schritt: Nach Ausstellungen in Berlin und Fürth zeigt das Sprengel Museum in Hannover, eines der führenden Häuser für zeitgenössische Kunst in Deutschland, eine Einzelausstellung mit seinen Arbeiten in der gläsernen „Einblickshalle“. Museumsdirektor Reinhard Spieler: „Man kann Peter Lang, diesen urigen Typen mit tiefem bayerischem Akzent, leicht unterschätzen. Er ist aber ein sehr progressiver Künstler.“
Die Ausstellung in Hannover zeigt etwas in dieser Form Einmaliges: Lang hat auf der Reise auch Skizzen angefertigt, nach denen ein großer 3-D-Druckroboter vor Publikum raumgroße Skulpturen erstellen soll.
Die Reise mit der Páll Helgi endete nach mehr als 5500 Seemeilen, Mitte August im Hafen von Bolungarvik. In fast jeden Fjord Islands sind sie gefahren, haben Wale gesehen, ein riesiger Buckelwal ist direkt unter der Páll Helgi hindurch getaucht. Der Kapitän hat irgendwann nicht mehr nur auf die schnellste Route geachtet, sondern auf die Schönheit, die Perspektive. „Ein Kunstboot“, wie Peter Lang sagt. Die Páll Helgi, seit dem Bau im Jahr 1974 nur in den nördlichen Gewässern Islands unterwegs, hat das Team einmal um die Insel gebracht. Es war die letzte Reise. Das Schiff wartet im Norden Islands auf seine Verschrottung.