Für Olympia-Ruderin Carlotta Nwajide war es der buchstäbliche Schlag ins Wasser: Im Finale in Tokio lag ihr Doppelvierer 180 Meter vor dem Ziel auf sicherem Silber-Kurs.
Text: Sabine Siegmund Fotos: DRV/Soeters
Nichts, so schien es nach zuvor perfekt absolvierten 1.820 Metern der schweißtreibenden Wettfahrt, konnte die 26-jährige DRC-Athletin noch um ihr olympisches Edelmetall bringen. Was dann folgte, war ein Drama: Ihre Potsdamer Teamkollegin Daniela Schultze im Bug des Bootes blieb mit ihrem rechten Ruder (Skull) in einer Welle hängen. Schultze zog „einen Krebs“, wie es im Fachjargon der Ruderer heißt, ihr Ruder verkantete sich zwischen Rumpf und Wasser, bremste das Boot abrupt ab. Nwajides Team kam völlig aus dem Rhythmus. Die Konkurrentinnen zogen im Endspurt vorbei. Statt der schon fast sicher geglaubten Silbermedaille blieb Nwajide nur der fünfte Platz.
„Das Missgeschick so kurz vor der Ziellinie war natürlich ein totaler Schock, das Ergebnis deshalb eine Riesen-Enttäuschung, die zunächst für mich unbegreiflich war“, sagte Nwajide einige Tage nach ihrer Rückkehr aus Japan. „Aber mit etwas zeitlichen Abstand ist mir klargeworden, dass natürlich auch ein fünfter Platz im Olympischen Finale ein großer Erfolg ist“, sagt die DRC-Ruderin. „Anschließende Gespräche mit Menschen, die nicht so tief drin sind im Leistungssport, haben mir schon sehr geholfen, dieses Ergebnis und meine Leistungen einzuordnen. Danach ging es mir dann auch besser.“
Nwajides Tokio-Bilanz fällt deshalb im Rückblick auch positiv aus: „In Tokio dabei zu sein, im Olympischen Dorf zu wohnen, dort viele Sportler aus aller Welt zu treffen, die dasselbe Ziel hatten, war sehr überwältigend und beeindruckend.“ Im Nachhinein habe sie gemerkt, „wie in Tokio das Olympische Feuer auf mich übergesprungen ist“, berichtet Nwajide. „Und ein bisschen was gesehen von Land und Leuten“ habe sie schließlich auch.
Das Ziel vor Augen
Und dass trotz der strengen Coronavirus-Einschränkungen der Gastgeber, der strikten Abschottung der Sportler, den strengen Hygieneregeln allenthalben: „Natürlich habe ich die Zuschauer an der Regattastrecke vermisst und sehr bedauert, dass meine Familie und Freunde nicht dabei sein konnten, wir Sportler uns nicht auch andere Wettbewerbe ansehen und anschließend Japan erkunden konnten“, resümiert die Geographie-Studentin, die nun zunächst zwei Monate Ruder-Pause machen wird. „Erstmal geht es bis Ende September mit meinem Freund in den Urlaub und im Herbst überlege ich dann, ob ich zunächst ein ganzes Pausenjahr einlege oder wieder ins Boot einsteige“, sagt die Ihme-Ruderin. „Aber erst einmal gönn ich mir einen nicht durch Trainingspläne vorbestimmten Tagesablauf und viele Freiheiten“.
Ihrem gesellschaftlichen Engagement bleibt Nwajide treu. „Mein Einsatz für unser Klimaschutzprojekt Ruderwald und mein Engagement gegen Alltags-Rassismus sind natürlich längerfristige Aufgaben, an denen ich weiterarbeiten werde“, verspricht Nwajide. „Nach den ganzen Wettkämpfen und Trainingslagern habe ich auch wieder mehr Zeit, Menschen gezielt anzusprechen“. Das Feedback auf ihren Einsatz sei durchweg positiv gewesen. Denn Olympische Spiele seien nicht nur in ihren Augen ganz und gar keine unpolitischen Ereignisse mehr. „Eine Veranstaltung solcher Größenordnung mit einer globalen Ausstrahlung kann gar kein unpolitisches Event sein“, meint Nwajide. Der Hochleistungssport müsse sich mit gesellschaftlichen Entwicklungen und Kritik beschäftigen und sich hinterfragen lassen. „Sich als Sportlerin hinzustellen und nur zu sagen: ‚Olympia ist aber ein cooles Event´ und dabei Probleme und Skandale auszublenden, ist mir schlicht zu wenig“, gibt sich die Ruderin kämpferisch. Und mit demselben Elan nimmt Nwajide auch sportlich das nächste Ziel in den Fokus und bleibt dabei im Trikot des DRC Hannover auch auf Olympia-Kurs: „Klar ist, Paris 2024 ist das Ziel!“.