Am 12. August ist „Nahschuss“ bundesweit in den Filmtheatern angelaufen. Der auf wahren Begebenheiten beruhende Stoff thematisiert die letzten Jahre des 1981 exekutierten Wissenschaftlers Werner Teske. Seine Hinrichtung war nicht nur rechtswidrig, sondern auch das letzte vollstreckte Todesurteil der DDR.
Text: Marleen Gaida Foto: Franziska Stünkel
166 vollstreckte Todesurteile hat es in der DDR gegeben. Bekannt ist über die bis in die achtziger Jahre verübten Hinrichtungen allgemein wenig. Gerade bei der jüngeren Generationen dürften daher durch den Film „Nahschuss“ weitere Grausamkeiten der Stasi-Diktatur visuell erfahrbar werden. Denn mit Nahschuss hat Regisseurin Franziska Stünkel einen Spielfilm erschaffen, in dem historische Begebenheiten mit fiktionalen Anteilen gekonnt verwoben und der mit Lars Eidinger, Devid Striesow und Luise Heyer in den Hauptrollen hochkarätig besetzt ist. Stünkel erklärt im Interview mit der nobilis wie es zu dem Film kam. „Ich habe vor zehn Jahren einen Zeitungsartikel gelesen, in dem am Rande über die Todesstrafe der DDR berichtet worden ist. Das hat mich erstaunt und erschreckt zugleich. Bis dahin hatte ich noch gar nichts davon gehört. Ich habe angefangen, zu recherchieren und bin auf ein Foto gestoßen, das Dr. Werner Teske mit damals 39 Jahren am Tag seiner Inhaftierung in Berlin Höhenschönhausen zeigt.“ Zur Historie: Mit dem unerwarteten Nahschuss in den Hinterkopf wurden ab 1968 in der DDR Exekutionen durchgeführt. Am 26. Juni 1981 wurde am Hauptmann der Staatssicherheit Werner Teske wegen Spionage und Fahnenflucht eines der letzten Todesurteile in der DDR vollstreckt, 1987 wurde die Todesstrafe abgeschafft. Die Begebenheiten um die Filmfigur Franz Walter (Lars Eidinger) sind an die letzten Jahre im Leben Teskes angelehnt.
„Was ist diesem Menschen passiert?“
Werner Teske ist nach heutigem Wissen der Mensch, der als letzter 1981 in der DDR hingerichtet worden ist, erklärt Stünkel. Die Bilder von dem jungen Stasi-Hauptmann, der einst eine Karriere im Wissenschaftsbetrieb der DDR anstrebte und sich, in der Hoffnung, später eine Professur zu bekommen, für den Auslandsnachrichtendienst der DDR – kurz HVA – verpflichtet – lassen sie nicht mehr los. „Ich konnte das Foto nicht mehr vergessen und habe mich gefragt, was ist diesem Menschen passiert?“ Es sind Themen wie Vertrauen in Staaten und Systeme, aber auch in Beziehungen, die Stünkel bei der Recherche und Drehbucharbeit fortan beschäftigen. Wie konnte es soweit kommen, dass sich Menschen in den Fängen der Stasi wiederfinden? Dass die Entfremdung von sich selbst, aber auch in der Beziehung immer weiter fortschreitet? Luise Heyer spielt im Film Ehefrau Corina Walter, die ihren Mann nach einiger Zeit nicht mehr wiedererkennt. Franz fängt an zu trinken, wird aggressiv und zieht sich immer weiter aus dem gemeinsamen Leben zurück. Aber welche Beziehung pflegt Corina Walter selbst zur Stasi – ist sie eine gehorsame Sozialistin oder die sich sorgende Ehefrau? Diese und weitere Fragen bleiben bis zum Schluß unbeantwortet. Stünkel spielt auch mit dem Nichtgesagten und lässt dadurch das Gefühl von Undurchsichtigkeit, Angst und Verrat subtil durch die Räume wabern. Acht Jahre lang hat sie an dem Drehbuch gearbeitet. Die Tournee durch deutsche Großstädte und der Kontakt mit dem Publikum tun der Regisseurin gut. Auch mit Schulklassen, ob im Osten oder im Westen, spricht sie über die Historie und den fiktionalen Filmstoff. Dass das Thema Zuschauer aufwühlen wird, ist ihr bewusst. Stünkel: „Vielen, denen ich in den vergangenen Jahren von meiner Recherche berichtet habe, sagten mir, dasss sie von der Todesstrafe in der DDR noch nie etwas gehört hatten. Dabei ist der Fakt, dass es sie gegeben hat, bekannt. Aber es scheint nicht im kollektiven Bewusstsein von uns allen angekommen zu sein.“ Fazit der Redaktion: Stünkels Film Nahschuss hilft für das Thema zu sensibilisieren und könnte zu wichtigen Diskussionen überall in der Republik sorgen.
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