Die Ausstellungen zu Gerhard Glück und Emil Orlik im Museum Wilhelm Busch haben kaum etwas gemeinsam. Eines aber doch: Beide sind großartig.
Text: Jörg Worat Fotos: Gerhard Glück
Das Bild zeigt einen Mann auf den Stufen eines offenbar großen Gebäudes. Er hält ein Schild in den Händen, während vor ihm endlose Menschenschlangen einem Kassenhäuschen zustreben. Die Untertitelung verrät, was der einsame Mahner zu verkünden hat: „Kehret um! Die Ausstellung ist scheiße!“ Einen solchen Cartoon ausgerechnet an den Beginn einer eigenen Schau zu stellen, spricht für einen speziellen Humor – und schon sind wir beim Museum Wilhelm Busch, das zurzeit zwei große Ausstellungen völlig unterschiedlicher Natur präsentiert.
Eine davon heißt „ARTverwandt – Komische Kunst von Gerhard Glück“, zu ihr gehört der eingangs geschilderte Auftakt. Glück, Jahrgang 1944, ist bestens bekannt durch seine Arbeiten unter anderem für die „Süddeutsche Zeitung“, die Zeitschrift „NZZ Folio“ oder das Satiremagazin „Eulenspiegel“; auch „DIE ZEIT“ veröffentlicht zuweilen seine Cartoons. Zudem hat Glück Gedichtbände von Heinz Erhardt, Joachim Ringelnatz und Christian Morgenstern illustriert.
Die Schreibweise des Titels haben die Busch-Kuratoren natürlich nicht beliebig gewählt. Zum einen genügen diese in Acryl und Tempera ausgeführten Arbeiten durch ihre technische Meisterschaft selbst höchsten Ansprüchen, zum anderen thematisieren sie die Kunst zuweilen auch. Die dabei allerdings meist vom Sockel gestoßen wird: „Nicht hingucken, das ist dieser Irre aus Vinci“, raunt da etwa ein Bauer einem anderen zu, derweil sich im Hintergrund ein Mann mit umgeschnallten Flügeln auf die Klappe legt. Ein anderes Bild schildert die Nachteile der Freilichtmalerei: Monet muss sich eines Mückenschwarms erwehren. „Großartig“, sagt Busch-Direktorin Dr. Gisela Vetter-Liebenow. „Es erinnert mich an eine Aufgabe meiner Schulzeit, als wir ein Monet-Gemälde nachempfinden sollten.“ Erfolgreich gelöst? „Doch, ich habe eine Eins bekommen.“
Das Große im Kleinen
Kann denn Gerhard Glück selbst so etwas wie Hochachtung gegenüber der Kunst empfinden. „Oh ja“, antwortet der Cartoonist, der ansonsten im Gespräch oft eine feine Ironie durchblicken lässt, durchaus ernst. „Etwa wenn ich mir die holländische Malerei des Barock anschaue, vor allem die Porträts und Landschaften.“ Zu Teenagerzeiten stellte ein Van-Gogh-Katalog so etwas wie eine Initialzündung dar: „Wegen der Kunst, aber auch wegen der Lebensgeschichte. Es passte halt in die Pubertät, Weltschmerz und so. Es ging aber nicht so weit, dass ich mir ein Ohr abschneiden wollte …“
Der Themenblock „Reiselust und Reisefrust“ enthält einen Klassiker: Eine Touristengruppe bleckt vor der Eiffelturm die Zähne. Das Selfie soll ja schick werden, selbst wenn man dafür dem berühmten Bauwerk den Rücken zuwenden muss. „Selbst so gesehen“, sagt Glück. Der Cartoonist ist aber auch jederzeit für einen Abstecher in eher surreale Gefilde zu haben: „Wenn Herrn Würmel die Zugfahrt zu langweilig wird, denkt er sich eine spannende Geschichte aus“ steht unter einem Bild, auf dem ein unscheinbarer Mann beim Blick aus dem Abteilfenster einen Indianerangriff zusammenfantasiert – zugleich ein schönes Beispiel dafür, dass Glücks Arbeiten oft erst durch die Textlegenden verständlich werden.
Seine Darstellungen fallen zwar hier und da sarkastisch, aber nur im Einzelfall wirklich fies aus. Wünscht er sich nicht manchmal, so ungehemmt in die Vollen zu gehen wie manche österreichischen oder englischen Kollegen? „Das ist nicht mein Stil. Ich fühle eher eine Verwandtschaft mit einem wie Sempé.“ Das passt: Auch der französische Zeichner ist jemand, der das Große im Kleinen zu entdecken weiß.
Eine Wiederentdeckung
Szenenwechsel: „Wie ein Traum! Emil Orlik in Japan“ heißt die Ausstellung in der oberen Etage, „und sie ist wirklich traumhaft“, wie Gisela Vetter-Liebenow betont. Gezeigt wird vor allem Druckgrafik, zu der Orlik (1870 bis 1932) bei seiner Japanreise 1900/1901 inspiriert wurde – anders als die meisten Kollegen wollte er sich nicht mit dem Blick aus der Ferne zufriedengeben, sondern die Technik des japanischen Farbholzschnitts vor Ort studieren. Die Arbeiten bei Busch sind faszinierend, obwohl oder vielleicht gerade weil sie so unspektakulär wirken: Die Menschen-, Landschafts- und Architekturdarstellungen zeigen alltägliche Szenen ohne folkloristischen Kitschfaktor. Sie bleiben zudem eigenständig: Einerseits hat das speziell japanische Verständnis von der Beziehung zwischen Fläche und Raum deutlich Spuren hinterlassen, andererseits verleugnet Orlik keineswegs die Einflüsse durch seine Mitarbeit an der Münchner Zeitschrift „Jugend“, die dem Jugendstil ihren Namen gab.
Orlik ist heutzutage leider etwas in Vergessenheit geraten, und auch der Hamburger Sammler Peter Voss-Andreae, der die Arbeiten für die sehr sorgfältig konzipierte Schau zur Verfügung gestellt hat, bekennt freimütig, zufällig auf den Namen gestoßen zu sein: „Meine Frau sammelt Komponistenporträts, und als ich eines von Richard Strauss fand, war ich froh, ein Weihnachtsgeschenk zu haben. Das Blatt war von Orlik, und in der Folge habe ich angefangen, mich mehr mit diesem Künstler zu beschäftigen.“