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So nah und doch so fern

04. August 2021

Die Sternwarte Sankt Andreasberg ist ein mystischer Platz. Fast ein bisschen wie ein Sprachrohr, eine Verbindung zwischen der Erde und dem Universum. Ein Ort, an dem die Gestirne zum Greifen nah scheinen. Und noch etwas anderes wartet hier: ganz viel Know-how, transportiert durch ein tolles Team, welches sogar über die erste audio-taktile Himmelsscheibe der Welt verfügt und so auch blinde Menschen fühlend mitnehmen kann auf die Reise zu den Sternen.
Text: Luisa Verfürth  Fotos: Lorena Kirste
Der Tag ist sonnig und warm. Der Himmel blau, und keine Wolke wagt, dieses Blau aufzumischen. Eine gute Voraussetzung, wenn man in der Sternwarte Sankt Andreas­berg Himmelskörper beobachten möchte. Sie liegt in 700 Meter Höhe, weit entfernt von Großstädten und Smog, der sich gern wie eine Lichtkuppel über aufgehitzte und hell erleuchtete Städte legt und die Sicht zu den Sternen beeinträchtigt. „Wir haben hier eine perfekte Lage“, so Hendrik Millner, Vorsitzender des Vereins Sternwarte Sankt Andreasberg. „Wir liegen nördlich von St. Andreasberg auf einem Hügel, haben hier perfekte Bedingungen zum Beobachten der Sterne. Sollte einmal Dunst oder Nebel entstehen, rutscht der an den Bergwänden oft leichter wieder ab.“

Es ist 19:30 Uhr. Die Sonne steht noch hoch am Himmel. „Ich würde Sie bitten, einmal einen Blick in unser Sonnen­teleskop zu werfen. Denn in zehn Minuten ist die Sonne leider hinter dem Haus verschwunden.“ Etwas von Nahem zu sehen, das 147 Millionen Kilometer weit weg ist, lassen wir uns nicht entgehen. Würden wir uns jetzt ins Auto setzen, wir bräuchten 150 Jahre, bis wir bei der Sonne ankämen.
Durch das Sonnenteleskop sieht man die Sonne als feuerrote, runde, glühende Scheibe. Um sie herum schwarz. Wenn man ganz genau hinschaut, sieht man am Rand der Sonne feine Auswüchse. Protuberanzen nennt man diese Materieströme, die bis zu 40.000 Kilometer hoch und 5.000 Kilometer breit sein können. Zum Vergleich: Unsere Erde hat einen Durchmesser von etwa 12.700 Kilometern und würde in eine Protuberanz locker hineinpassen.
Wenn man den Kopf wieder aufrichtet und den Blick zu seinem Gegenüber richtet, hat es doch immer etwas Beeindruckendes, wenn man überlegt, dass das, was man gerade durch das Teleskop gesehen hat, die Vergangenheit war. Denn acht Minuten braucht das Licht, um die Strecke zwischen Sonne und Erde zurückzulegen.
Um die Zeit bis zur Dunkelheit etwas zu überbrücken, gehen wir in das Gebäude der Sternwarte. Was dabei auffällt: Wirklich alle Zugänge und Wege im Innen- wie im Außenbereich sind barrierefrei. Aus gutem Grund: Denn die Sternwarte hat den Anspruch, jedem Menschen den Himmel nah zu bringen. Eigens dafür dient übrigens auch ein Geschenk des Vereins Andersicht e.V., entwickelt von dem blinden  Amateurastronomen Niels Luithardt – eine audio-taktile Himmelsscheibe. An der gut einen Quadratmeter gro­ßen runden Karte lassen sich Datum und Uhrzeit einstellen, daraufhin nennt sie die Sterne, die gerade mit bloßem Auge am  Himmel zu sehen sind.

Dann empfängt uns Matthias Gruhn-Creutzburg und stellt uns vor die Wahl. Rund 30 Vorträge hat der staatlich geprüfte Techniker im Maschinenbauwesen – Fachbereich Raumfahrttechnik – in petto. Alle sind buchbar, ob als private Gruppe oder als Klasse. Wir entscheiden uns für den Vortrag rund um das James-Webb-Weltraum-Teleskop, das im Oktober ins Universum ausgesendet werden soll. Es ist beeindruckend, wie viel Fachwissen bei hier gebündelt ist. Gruhn-Creutzburg pflegt sogar Kontakte zur NASA.

Auf der Suche nach den Anfängen unserer Erde

Das Ziel des James-Webb-Weltraum-Teleskops wird es sein, 31,5 Milliarden Jahre zurück in die Vergangenheit zu schauen. 9,66 Milliarden Euro hat dieses Wunder der Technik gekostet, welches über einen Sonnenschirm verfügt, der größer ist als ein Tennisplatz. Per Rakete wird dieses Weltraum-Teleskop im Oktober in Französisch-Guayana losgeschickt auf seine Reise. Und erst im Frühjahr nächs­ten Jahres wird es an seinem berechneten Punkt ankommen. Nämlich hinter dem Mond, wo noch kein Teleskop vor ihm war. Dort soll das Teleskop unter anderem die ersten leuchtenden Objekte und Galaxien aufspüren, die nach dem Urknall entstanden sind. Eine Wartung wird nicht möglich sein. Weil keine Raumfähre so weit fliegen kann.
Warum entwickeln Menschen so etwas? „Weil es ein inneres Bedürfnis von uns Menschen ist, immer wieder um die nächste Ecke gucken zu können.“ Die NASA steht Kopf und vor einem Ritterschlag. Draußen wird es langsam dunkel. Aber bevor wir in den Himmel schauen, werfen wir noch einen Blick in das kleine, hauseigene Planetarium.

Hendrik Millner erklärt uns, wie und wo die Sterne stehen. Wir sehen Sternbilder, alte Bekannte und neue wunderschöne Galaxien. Uns wird gezeigt, wie man anhand des großen Wagens den Standort des Polarsterns bestimmen kann, des Sterns, der im Gegensatz zu allen anderen seine Position nie verändert. Und wir können dank eines Zeitraffers sehen, wie Milchstraße und die Andromeda-Galaxie sich aufbauen und wieder auflösen.
Obwohl die Nacht glasklar schien, ist über den Abend ein leichter Dunst aufgezogen. Es ist bitterkalt draußen. Ein paar wenige Sterne können wir mit dem bloßen Auge erkennen. Für andere benötigt man ein passendes Objektiv oder Teleskop.
Wenn man hier draußen steht und seinen Blick in den Himmel schweifen lässt, dann wird man schon ein bisschen demütig vor diesem großen Ding namens Universum um uns herum. Wenn man Sie das nächste Mal fragt, ob Sie zaubern können, dann denken Sie an uns und antworten mit Ja. Sie können in die Vergangenheit schauen. Und müssen Ihren Blick dafür nur in den Himmel richten.

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