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Hannovers Wege zum Mond

23. September 2024

Noch schmilzt ein Forscherteam vom Laser Zentrum in einer Halle in Hannover eine Nachbildung von Mondstaub ein. 2026 soll es aus echtem Mondstaub Baumaterial für eine Station im All herstellen.

Tim Eismann zieht seine Schutzkleidung an, einen blauen Anzug mit Kapuze, Atemschutzmaske mit Sauerstoffversorgung. Er geht in eine Versuchskabine, einen strahlungssicheren, begehbaren Würfel, der mitten in einer großen Halle in Hannover steht. Zwischen Kabeln und Schläuchen befindet sich ein Laser, darunter eine kleine Vakuum Kammer, ungefähr handtellergroß. Eismann platziert einige Körner Mondstaub darin – oder besser: eine Nachbildung davon – und verlässt die Zelle. Dann passiert Bemerkenswertes: Ein Laserstrahl trifft auf das Material. Der Strahl schmilzt den Staub ein und verfestigt ihn. Eismann ist zufrieden, er hält den verhärteten Mondstaub in den Händen, er glänzt jetzt leicht, ein wenig wie Lava. Baumaterial für das Leben im All.

Projekt Moonrise

In zwei Jahren will das siebenköpfige Forscherteam vom Laser Zentrum Hannover mit zwei Kollegen vom Institut für Luft- und Raumfahrt der Technischen Universität Berlin den Beweis erbringen, dass Mondstaub als Baumaterial auf dem Erdtrabanten dienen kann. Das Unternehmen Astrobotic soll den in Hannover gebauten Laser Ende 2026 mit einer Rakete auf den Mond bringen, der Vertrag ist unterzeichnet. Das Projekt „Moonrise“ wäre ein Meilenstein auf dem Weg zu einer Mondstation. Der erste Schritt: Zuerst soll eine kleine 20 bis 30 Quadratzentimeter große Fläche von dem Laser bearbeitet werden. „Das ist aber nur der Anfang“, sagt Jörg Neumann.

Neumann ist Abteilungsleiter für Laserentwicklung. Und seine Stimme überschlägt sich etwas, wenn er von der Mission erzählt. Die begann vor neun Jahren, wurde erst von der Volkswagen Stiftung und wird heute von der Deutschen Raumfahrtagentur mit Mitteln des Bundesministeriums für Wirtschaft und Klimaschutz gefördert. Die Vision: Auf dem Mond soll in den 2030er Jahren eine astronautische Station entstehen – mit Straßen, Landeplätzen und Schutzräumen für Astronauten vor Mikrometeoriten. „Wir arbeiten daran, dass unsere Laser dabei eine entscheidende Rolle spielen“, sagt er. Denn diese sollen das Baumaterial für eine solche Station herstellen, am besten automatisiert. Wäre es nicht leichter, auf der Erde gefertigte Teile zum Mond zu schicken? „Unbezahlbar“, sagt Neumann. Die Transportkosten sind immens: Ein Kilogramm Material auf den Mond zu bringen, kostet zurzeit etwa eine Million Dollar.

Innovation mit Risiko

Der heutige Versuch ist beendet. Tim Eismann zieht seinen Anzug wieder aus, legt die Gesteinsprobe zu den anderen. An den Feinheiten muss er noch arbeiten, aber der Prozess läuft jetzt stabil. Hochrisikoforschung nennt man Forschung, die in völlig neue Gebiete aufbricht. Im Mittelpunkt stehen innovative Ideen mit dem Potenzial, große Durchbrüche zu erzielen, gleichzeitig gibt es die Möglichkeit des Scheiterns. Das bedeutet für Eismann und das gesamte Team: Ob am Ende tatsächlich mit Lasertechnik aus Hannover eine Mondstation errichtet wird oder ob sich eine andere Technik durchsetzt, ist unklar.

Das Laser Zentrum ist ein Ort herausragender Forschung. Doch auch die Verbindung zur Wirtschaft ist dem Forschungsstandort seit dem Start 1986 wichtig. Heute liefert das Zentrum mit seinen rund 200 Mitarbeitenden eigene Laser an Unternehmen und Forschungseinrichtungen, darunter ESA und NASA. In den knapp 40 Jahren seit Gründung haben sich 19 Startups ausgegründet, eine starke Quote, darunter das erfolgreiche Metallverarbeitungsunternemen MeKo Manufacturing, das sich auf LaserMaterialbearbeitungen für die Medizintechnik spezialisiert hat.

So könnte es später aussehen, wenn das Knowhow aus Hannover mit dafür sorgt, dass auf dem Mond gebaut werden kann.

Von der Simulation zur Wirklichkeit

Bis zur anvisierten Mondfahrt 2026 gibt es noch viel zu tun. Denn die Bedingungen auf dem Mond sind ganz andere als auf der Erde – und müssen im Labor simuliert werden. Das Rütteln der Rakete beim Start, die starken Temperaturunterschiede von bis zu minus 160 Grad in der Nacht und 130 Grad am Tag, der Wegfall einer schützenden Atmosphäre, die Mondgravitation. Ein Versuch in der Schwerelosigkeit wurde bereits erprobt – im Einstein-Elevator der Leibniz Uni. Vier Sekunden ohne Gravitation erzeugt dieser ultraschnelle Aufzug, dessen Geschwindigkeit sehr genau gesteuert werden kann. Diesen Test hat der Laser bestanden: Der Schmelzprozess hat auch in der Schwerelosigkeit funktioniert.

Für den Laser wird es nur ein One-Way-Ticket zum Mond geben. Wie können die Forschenden dann sicher sein, dass die Mission glückt? Das wollen sie anhand von Kamerabildern und künstlicher Intelligenz sichtbar machen. Es geht also in den Vorbereitungen auch darum, die KI zu trainieren, sie mit möglichst vielen Daten aus Testreihen zu füttern. Der Mars ist zwischen 56 und 401 Millionen Kilometer vom Mond entfernt. Beim Laser Zentrum liegen nur ein paar schwere Türen zwischen Mond- und Marsraum.

"Der Mars ist das ultimative Ziel"

Eigentlich sollte der Flug des MOMA-Lasers (Mars Organic Molecule Analyser) zum „roten Planeten“ 2020 starten, doch dann kamen technische Probleme am Landesystem dazwischen sowie geopolitische Konflikte. „Der Mars ist das ultimative Ziel“, erklärt Neumann. Hier soll nach Spuren von Leben gesucht werden – mittels Spektroskopie. „Der Mond wird als Testfeld gesehen – auch weil er schneller zu erreichen ist“, sagt Abteilungsleiter Neumann. Während es bis zum 384.000 Kilometer entfernten Mond ein paar Tage dauert, muss man für eine Reise zum Mars sechs bis zwölf Monate einplanen. Aber Neumann ist sich sicher, es wird passieren. In den 2040er-Jahren, so glaubt er, wird es auch eine astronautische Station auf dem Mars geben. „Es gibt viel zu entdecken“, sagt Neumann. Und wenn es gut läuft, macht sich die Technik aus Hannover mit auf die Reise in unbekannte Welten.

Tim Eismann bringt in einem Labor Mondstaub zum Schmelzen. Das so entstandene Gestein soll später als Baumaterial dienen.

Text: Stefanie Nickel
Fotos: Henning Scheffen

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