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Anstrengendes Erbe

13. Februar 2024

Dicke Wassertropfen prasseln auf die Kartons, die einst aufgestapelt zu einem massiven Turm die Macht König Lears bekundeten. Doch das Bauwerk ist längst eingestürzt und zum Geröllfeld geworden. Zwischen diesen Trümmern steht nun der König im Regen. Die Pappe weicht auf. Seine Macht? Ist verloren. Sein Erbe? Noch immer nicht geregelt. Dabei war es doch gerade das, was er wollte – sich zurückziehen, die Macht an seine Töchter übergeben.

Es ist eines der stärksten Bilder dieser Lear-Inszenierung, die in der Oper Hannover Premiere feierte. Die Inszenierung von Joe Hill-Gibbins spart weder an eindrucksvollen Bildern noch an wuchtigen Klängen. Allein im hinteren Teil der Bühne sitzen auf einer Art Empore sechs Schlagzeuger, die gemeinsam mit dem Staatsorchester und zwei Harfenistinnen der Oper von Aribert Reimann ihren kraftvollen und unmittelbaren Sound geben. (Musikalische Leitung: Stephan Zilias) Und man braucht schon starke Nerven für diese Familiengeschichte, die auf der Tragödie William Shakespeares gründet.

Michael Kupfer-Radecky steht zwischen den Trümmern im Regen. Foto: Sandra Then

Intrigen und Zwistigkeiten

König Lear möchte sein Erbe regeln und sein Land unter seinen drei Töchtern aufteilen. Doch zunächst sollen sie ihm ihre Liebe bekunden. Das Drama beginnt: Goneril (Angela Denoke) und Regan (Kiandra Howarth) schmeicheln ihm; die Lieblingstochter Cordelia (Meredith Wohlgemut) sagt nichts und wird glatt verstoßen. Die Tragödie nimmt ihren Lauf, denn Lear (Michael Kupfer-Radecky) hört weder die schrillen Töne Regans noch die schroffen Gonerils. Es kommt, wie es bei Shakespeare immer kommen muss: Macht und Wut folgen Wahnsinn und Tod. Das Spiel dazwischen ist geprägt von Intrigen und Zwistigkeiten.

Spannend und anstrengend zugleich ist diese Inszenierung. Das Bühnenbild von Tom Scutt, das aus 300 Pappkartons besteht, ist grandios. Vom massiven Turm zum Geröllfeld – besser kann man den Zerfall von Macht nicht darstellen. Wer einmal körperlich nachspüren möchte, wie schwierig es sein kann, sein Erbe zu regeln, der sollte sich diesen Lear ansehen. Es könnte allerdings sein, dass man am Ende lieber nichts regeln möchte, wenn die Lebenszeit, die einem bleibt, so anstrengend wird und so schmerzvoll endet. 

Text: Heike Schmidt, Fotos: Sandra Then

Kiandra Howarth, Angela Denoke und Marco Lee mitten in der Inszenierung von Lear. Foto: Sandra Then
Die Verzweiflung steht König Lear (Michael Kupfer-Radecky) ins Gesicht geschrieben. Foto: Sandra Then

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