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Adam Budak vor dem Gebäude der Kestner Gesellschaft

Die Kestner Gesellschaft bekommt einen neuen Direktor

27. November 2020

Ab dem 1. November ist Adam Budak neuer Direktor der Kestner Gesellschaft. Hier spricht er über Politik, Favoriten aus Hannover und schwierige Geburtstagspartys.
Text: Jörg Worat, Fotos: Shino Photography

Polyphonie“: Dieses Wort verwendet Adam Budak im Gespräch regelmäßig. Und es ist gewiss kein Zufall, dass der neue Direktor der Kestner Gesellschaft, also eines Hauses, das man in ersten Linie mit bildender Kunst in Verbindung bringt, gerade einen Begriff aus der Musik wählt. Vielstimmig soll also das künftige Programm im traditionsreichen Kunstverein sein. Budaks Biografie verweist in der Tat darauf, dass Grenzen für ihn zum Überschreiten da sind.
Schon während des Studiums zeigte der gebürtige Pole einen ausgeprägten Hang zum Interdisziplinären: Theaterwissenschaften und Philosophie in Krakau, Kunstgeschichte in Prag und Colchester – das ist schon eine beachtliche Mischung. Damit nicht genug: „Meine Abschlussarbeit in Theaterwissenschaften habe ich über Kino geschrieben. Ich fand es immer am spannendsten, wenn Menschen aus unterschiedlichen Bereichen in einem Raum zusammenkamen. Kunst, Philosophie, Architektur und noch mehr: Das ist ein Cocktail, der mir gefällt.“
Wenig erstaunlich daher, dass Budaks berufliche Laufbahn international geprägt ist. Er war als Gastdozent in seinem Heimatland und in Belgien tätig, kuratierte unter anderem in Graz, Washington und mehrfach in Venedig. Zuletzt war der vielseitige Mann, der sechs Sprachen beherrscht, ab 2014 künstlerischer Leiter der Nationalgalerie in Prag.
So ist schon einiges zusammengekommen für Budak, der am 24. Dezember diesen Jahres 54 wird. Ein doppelter Feiertag? „Ein dreifacher. Es ist auch der Namenstag von Adam und Eva – ich bin danach benannt. Und Namenstage haben in Polen eine große Bedeutung.“ Das kuriose Datum hat allerdings auch Nachteile: „Wenn ich an meinem Geburtstag eine Party machen wollte, würde keiner kommen.“

Kunst in einer komplexen Welt

In die Kestner Gesellschaft wiederum sollen natürlich möglichst viele Menschen kommen. Nun steht das aktuelle Programm bis auf Weiteres fest, eigene Ausstellungen wird Budak erst ab 2022 umsetzen können. Gar zu konkret mag der künftige Direktor verständlicherweise noch nicht werden, doch bleiben seine Aussagen auch nicht in diffusen Andeutungen stecken. So will Budak einige Ansätze seiner Vorgängerin weiterverfolgen – Christina Végh ist zu Beginn des Jahres an die Kunsthalle Bielefeld gewechselt. „Ich fand es zum Beispiel immer interessant, wie sie sich in der Kestner Gesellschaft für Künstlerinnen eingesetzt hat. Den Gender-Aspekt finde auch ich sehr wichtig.“
Ebenso wie politische Kunst im Allgemeinen: „Die Welt heute ist sehr komplex und problematisch. Wobei es diese Probleme schon länger gibt, nur sind sie immer deutlicher sichtbar geworden. Die Kunst muss dem begegnen, sie muss relevant sein.“ Formal schwebt Budak ein Wechsel zwischen Einzel- und Gruppenausstellungen vor: „Ich stelle es mir auch spannend vor, einen Dialog zwischen verschiedenen Generationen herzustellen.

Moderne Kunst bei der Kestner Gesellschaft

Nun gibt es in Hannover mit dem Sprengel Museum und dem Kunstverein zwei weitere Institutionen, die der Moderne verpflichtet sind – wo will sich da die Kestner Gesellschaft positionieren? „Das ist in der Tat eine wichtige Frage. Das Sprengel Museum hat eine bedeutende kunstgeschichtliche Sammlung, der Kunstverein zeigt junge Positionen und bestimmte Experimente. Da müssen wir einen eigenen Weg finden und auf unsere Art experimentieren.“ Die Klassische Moderne, die in der Kestner Gesellschaft unter Direktor Dr. Carl Haenlein zuweilen eine Rolle spielte, wird Budak eher nicht ins Spiel bringen: „Ich glaube, es gibt genug spannende zeitgenössische Künstler.“ Den Kontakt zu anderen Institutionen will der neue Kestner-Direktor suchen, teilweise ist er schon vorhanden – etwa Dr. Carina Plath, stellvertretende Direktorin des Sprengel Museums, kennt er schon lange.

Der gebürtige Pole Adam Budak arbeitet vor allem gern interdisziplinär.

Neue Erfahrungen für das Publikum der Kestner Gesellschaft

Immer wieder kommt er auf das Polyphone, das Interdisziplinäre zu sprechen: „Als ich den entsprechenden Platz hatte, habe ich ,Grand Openings‘ ausgerichtet. Da waren in einem Raum vielleicht Zeichnungen zu sehen, im nächsten Fotos und im übernächsten bewegte Bilder. Ich finde es schön, wenn ein Besucher, der wegen eines Mediums gekommen ist und sich für die anderen bisher gar nicht interessiert hat, die Gelegenheit nutzt, neue Erfahrungen zu machen.“
Bei solchen Ansätzen ist es nicht erstaunlich, dass Grenzgänger die wichtigsten Einflüsse für Budak darstellten, der selbst nicht aus einer Künstlerfamilie stammt. Zunächst hinterließ die Begegnung mit dem Werk von Tadeusz Kantor Spuren, mit all den Schnittstellen zwischen Theater, Malerei und Kunsttheorie. Es folgte Regisseur Peter Greenaway: „Er hat im Film Theater gemacht.“ Auch ein Hannoveraner steht auf Budaks Favoritenliste: Alexander Dorner, in den 20er- und 30er-Jahren Direktor des damaligen Provinzial- und heutigen Landesmuseums sowie Präsident der Kestner Gesellschaft. Auf seine Anregung entstand das interaktive „Kabinett der Abstrakten“, dessen Rekonstruktion heute im Sprengel Museum zu sehen ist: „Für ihn war die Verbindung von Kunst und Raum ganz entscheidend“, sagt Budak. „Und die Suche nach neuen Möglichkeiten der Präsentation für das Publikum.“
Mit der Kulturgeschichte der Stadt hat sich der umtriebige Ausstellungsmacher offenbar eingehend beschäftigt. Und da er im Gespräch für Überraschungen gut ist und schon mal dem Journalisten seinerseits Fragen zu stellen beginnt, möchte er etwa wissen, wie die Hannoveraner zu Hannah Arendt stehen. Nun, die in Linden geborene Publizistin und politische Theoretikerin wird hier ja sogar regelmäßig mit „Hannah-Arendt-Tagen“ gewürdigt.
Schließlich hat Adam Budak als Motto für seine Tätigkeiten eine besonders griffige Formel parat: „Ausstellen, darstellen, vorstellen.“ Wobei die Trennung zwischen Beruf und Privatleben offenbar nicht recht zu definieren ist, die Antwort auf die Frage nach Hobbys könnte jedenfalls beides betreffen. Von Reisen ist da die Rede, vom Lesen – und von der Musik. Und so endet alles wieder mit der Polyphonie.

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