Text und Bilder: Torsten Lippelt
In einer Gemeinschaftsaktion kaufen zwei Stiftungen und das Land Niedersachsen für 100.000 Euro über 500 seltene Sammlungstücke des Welfenhauses aus den USA zurück.
Fast ein Vierteljahrhundert lang war sie verschwunden – jetzt ist sie zurück im heimischen Calenberger Land: die Hofbibliothek der Marienburg. Welfenprinz Ernst August von Hannover sen. hatte die Sammlung 1999 an einen Londoner Antiquar verkauft. Von dort wurde sie weiterverkauft an das Großantiquariat Ars Libri, in Boston (USA). Nun haben die Stiftung Schloss Marienburg, das Niedersächsische Landesarchiv und die Gottfried Wilhelm Leibniz-Bibliothek (GWLB) für 100.000 Euro die Hofbibliothek erworben und zurück nach Hannover geholt. Die Kulturstiftung der Länder hat dies mit 50.000 Euro finanziell unterstützt, die weiteren Geldmittel kommen zu fast gleichen Teilen vom Niedersächsischen Ministerium für Wissenschaft und Kultur (MWK) sowie von der Stiftung Niedersachsen.
Ein Glücksfall
„Das ist ein ausgesprochener Glücksfall“, freut sich Dr. Sabine Graf, Präsidentin des Niedersächsischen Landesarchivs, bei der Präsentation des Welfenschatzes aus Papier, Pergament und Leder in der Pattenser Außenstelle des Landesarchivs. Die ältesten Stücke stammen aus dem 14. Jahrhundert: religiöse Texte auf Pergament, die man später in Zweitverwendung als Einbände für Bücher weitergenutzt hat. Die jüngsten stammen von Herzog Ernst August von Cumberland (1845-1923), dem letzten Kronprinzen des Königreichs Hannover. „All dies ist für die Geschichte der Marienburg, die Landes- und Bibliotheksgeschichte von außerordentlich hohem Interesse“, betont Dr. Sabine Graf. Dem Erfassen, Katalogisieren und auch Digitalisieren der über 500 Handschriften und Bücher, Atlanten und Aquarelle, Bibeln, persönlichen Briefe des Welfenhauses sowie von königlicher Hand gemalten Aquarelle folgen „Jahre der Forschung und auch Überraschungen“, blickt sie voraus.
Handgeschriebene Briefe der Welfen
Zur im Detail noch nicht gesichteten Sammlung gehören auch Manuskripte von Angehörigen des europäischen Hochadels, von Rechtsgelehrten, Historikern, Schriftstellern, Pastoren und Musikern. Ferner befinden sich darunter viele handgeschriebene Briefe, Texte, Zeichnungen, Reisetagebücher und Alben der hannoverschen Welfenfamilie. Einen besonderen Schwerpunkt der Sammlung bilden handschriftliche Ausarbeitungen verschiedener Autoren zur Staatsverwaltung und hannoverschen Militärgeschichte sowie diverse Aufzeichnungen zur „King’s German Legion“. Dies war eine hannoversche Militäreinheit, die in den napoleonischen Kriegen unter britischer Flagge kämpfte.
Wichtiges kulturelles Erbe
„Die Kollektion ist ein wichtiger Bestandteil des nationalen kulturellen Erbes“, betont Niedersachsens Kulturminister Falko Mohrs. Anne May, Direktorin der Gottfried Wilhelm Leibniz-Bibliothek, will die Sammlung in Teilen bereits 2024 zeigen: „Für uns ist der Ankauf eine großartige Ergänzung unserer Sammlungen und Erwerbungen im Kontext des Welfenhauses. Ich hoffe, wir können im nächsten Jahr bereits Highlights aus dieser Sammlung bei uns vorstellen.“
Weltgeschichte aus Hannover
„Vor allem die Briefe aus dem Welfenhaus zeigen die regionale Verankerung und Verwurzelung. Sie strahlen auch in die Weltgeschichte aus“, freut sich Prof. Dr. Markus Hilgert, Generalsekretär der Kulturstiftung der Länder über die Rückkehr dieses Welfenschatzes. Zahlreiche Stücke zeigen hier für die Geschichte des Welfenhauses vertiefende Einblicke zu einzelnen Personen und zu familiären Verbindungen, bis hin zur allgemeinen europäischen Politikgeschichte. So erzählen viele Teile der Sammlung ihren eigenen Geschichten vom Welfenhauses, von Hannover und darüber hinaus.
Unsere Top 3 der Sammlung
„Mein liebster Papa…“
…so beginnt – hier auf Deutsch übersetzt – ein im Oktober 1828 geschriebener, familiärer Brief des erst neunjährigen Prinz Georg an seinen Vater, Ernst August I., der ab 1837 als König von Hannover herrscht. Dem „My Dearest Papa…“ folgt auf Englisch die freudige Mitteilung des Sohnes, er sei froh, schon seit drei Tagen ein guter Junge –„a good boy“ – zu sein. Er hofft, mit diesem „little paper“ seinem Vater eine Freude zu bereiten. Dem ersten Brief, aus dem erkennbar ist, dass diesen im Auftrag ein Erwachsener geschrieben hat, folgt sieben Monate später ein weiterer an „My Dearest Papa“: In anderer, erkennbar bemühter Handschrift zeigt sich Georg im Mai 1829 nun sehr erfreut, dass er seinem Vater wieder schreiben darf. Die Erkrankung seines Auges habe es erforderlich gemacht, das Briefeschreiben zu verschieben. Durch eine Krankheit hat Prinz Georg in den Monaten zuvor sein linkes Augenlicht verloren. 1833 erblindet er durch einen Unfall auch rechts. Im Jahre 1851 folgt er als Georg V. seinem verstorbenen Vater als letzter hannoverscher Monarch – und als Hannovers blinder König – auf den Thron.
Ein königliches Norderney-Aquarell…
…mit einem stilvollen Badehaus, vor dem ein Reiter zwei Pferde hält und auf dessen Dach eine Flagge im Wind weht, gehört ebenso zu den einzigartigen Teilen der Sammlung. Passanten lustwandeln und unterhalten sich auf der Straße; im Hintergrund stampft ein dampfbetriebenes Schiff durch aufgewühlte Nordseewellen. Mit viel Sinn fürs Detail ist das von Königin Friederike gemalte Aquarell des Seebades Norderney Bestandteil der Sammlung. Im Jahr 1800 als erstes deutsches Nordseebad gegründet, ist die Insel beim Welfenhaus ein sehr beliebtes Reiseziel. Von 1806 bis 1813 noch von französischen Truppen besetzt, wird sie 1815 auf dem Wiener Kongress mit Ostfriesland dem Königreich Hannover zugeordnet. Ab 1819 wird das wiedereröffnete Seebad Norderney als königliche Seebadeanstalt betrieben. Und vor allem in den 1830er Jahren dann regelmäßig von den Welfen zur Erholung besucht – auch von der 1837 mit dem Ende der Personalunion zur Königin von Hannover gewordenen Friederike, der Gattin von König Ernst August I.. Dabei malt sie gern und akkurat, was sie sieht. Aber auch ihr früh erblindeter Sohn Georg reist später gern nach Norderney. Die Insel wird so zur Sommerresidenz von Georg V. von Hannover und zeitweise zum gesellschaftlichen Mittelpunkt des Königreiches.
Eine Bibel mit Blüten…
Bibel von Königin Marie blättert, findet dort eine ganz persönliche Erinnerung aus ihrer Verwandtschaft. Denn auf der ersten Einband-Innenseite der 1808 in Tübingen gedruckten Ausgabe hat die letzte Königin von Hannover – und Namenspatin der nach ihr benannten Marienburg – einen kleinen, getrockneten Blütenstrauß aufbewahrt. Dazu ausgeschnittene Teile eines 1820 geschriebenen Briefes. Ihre Mutter, Amalie von Württemberg, hat der 1818 geborenen Tochter und späteren Frau von König Georg V. diese Bibel geschenkt. Sie selbst hat diese einst von einer ihrer eigenen Schwestern erhalten – ob damals schon mit dem Blumensträußchen oder noch ohne, ist heute nicht mehr zu klären.