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Die Faszination des Bösen

11. September 2023

Richard ist böse. Er lügt. Er betrügt. Er geht über Leichen. Die Lebenden weiß er zu manipulieren: schmeichlerisch, heuchlerisch und durchaus mit Witz. Das macht ihn so faszinierend – wie eigentlich seine ganze Familie, die sich mit Gewalt und Krieg sehr gut auskennt.

Willkommen in der Welt Richards III., die als Familiendrama mit Intrigen um Macht und Einfluss, mit Morden und Eitelkeiten der Erfolgsserie „Game of Thrones“ in nichts nachsteht – nur, dass ein gewisser William Shakespeare dieses Spiel schon Ende des 16. Jahrhunderts schrieb. Im Schauspielhaus feierte das Stück nach William Shakespeare in der Bearbeitung von Michel Decar jetzt Uraufführung.

Text: Heike Schmidt, Fotos: Kerstin Schomburg/Schauspiel Hannover

RICHARD III Schauspiel Hannover mit Cino Djavid, Nikolai Gemel, Philippe Goos, Stella Hilb, Lukas Holzhausen, Irene Kugler, Viktoria Miknevich, Sonja Schulz, Felix Wendtland

Spiel im engsten Familienkreis

Zugegeben, vom alten Shakespeare ist nicht viel übriggeblieben. Michel Decar hat die Personenliste von mehr als 50 Rollen im Original auf acht Akteure zusammengestrichen. Der Rest ist der engste Familienkreis: Mutter, Brüder, Butler – und Lady Anne, die spätere Frau Richards. Sie bilden den Fonds des Shakespeareschen Dramas, der auf der Bühne wie ein Kammerspiel inszeniert wird.

Das Bühnenbild (Fabian Liszt) wechselt nie. Hohe holzgetäfelte Wände im 50er Jahre-Schick mit überhohen Türen und Fenstern erinnern an einen Konferenzraum der Nachkriegsära. Und in der Tat: Diese Familie hat gerade einen Krieg gewonnen. Einer der ihren sitzt auf dem Thron. Es könnte friedlich sein. Wäre da nicht Richard, der jüngste Bruder, der so gerne selbst die Macht hätte. Dabei hat er schon Macht – nämlich die über Menschen. Das Gefährliche ist: Er weiß es, und er weiß sie einzusetzen.

Großartige Stella Hilb

Stella Hilb ist Richard III. Und sie ist großartig. In einem schwarzen oversized Herrenanzug spielt sie die Sorte verschlagener Menschen, die schmeichelnd verführen und dabei sanft das Gift ihres Tuns denjenigen einflößen, die ihnen im Weg stehen. Sie lügen, betrügen, morden – und der Betrachter schaut schaudernd-fasziniert zu. Dass Richard III. eine Frau ist, spielt keine Rolle. Das Böse kann männlich wie weiblich sein. Es ist egal. Es ist alternativlos.

In dem Spiel um Macht erkennt nur eine aus dem engsten Familienkreis, was mit Richard los ist – seine Mutter (Irene Kugler), die ein wenig wie Punk-Queen Vivian Westwood (Kostüme: Johanna Lakner) aussieht und genau weiß, wen sie in die Welt gesetzt hat. Seine spätere Frau Anne (Viktoria Miknevich), deren Mann Richard erschlagen hat, ahnt ebenfalls die Gefahr. Doch sie spielt das Spiel in Ansätzen selbst mit, auch wenn sie später betont: „Ich habe Angst vor dem Menschen, den Du aus mir gemacht hast.“

Morden, nicht ohne Witz

Richards Brüder hingegen, Edward IV, König von England, (Philippe Goos) und George (Nikolai Gemel) fallen allzu gerne auf den vermeintlich liebenden Bruder herein. Sie sehen nur, was sie sehen wollen – einen liebenden Bruder mit schmeichelnden Worten. Dass dieser den einen – sterbenskrank – am offenen Fenster im Windzug stehen lässt, weil dieser ja frische Luft brauche – geschenkt. Dass er ihm trotz Lungenentzündung eine Zigarre reicht? Aber bitte! Den anderen Bruder lässt Richard von Butler Bucky (Lukas Holzhausen) ermorden, der übrigens gemeinsam mit seinem Kollegen Catesby (Cino Djavid) immer wieder für komische Einlagen sorgt, die passend zum Stück – britisch-schwarzhumorig sind.

Und so mordet, manipuliert und schmeichelt sich Richard III. in Kurzclips durch diese schrecklich nette Familie, die eine Mischung aus Adams-Family und Haus Lannister sein könnte. Zwischen den einzelnen, manchmal sehr kurzen Szenen, fährt ein Lichtbalken, der das Publikum blendet, von oben nach unten. Die Zuschauer stehen dann selbst einmal im Rampenlicht. Sie sehen Schwarz. So ist es also, wenn man auf der Bühne steht.

Schrecklich komisch

Das Stück nach Shakespeare ist schrecklich und komisch zugleich. Die Aufteilung in Kurzclips und die sprachliche Aufarbeitung des Klassikers mag eingefleischten Shakespeare-Fans nicht so gut gefallen. Es gab auch einige Buh-Rufe für das Regieteam (Regie: Matthias Rippert) am Ende der Uraufführung. Schließlich findet es nicht jeder schön, wenn Richard in Jugendslang sagt, es sei wirklich nice, König zu sein. Doch eines ist die große Stärke dieses Stücks nach Shakespeare: an manchen Stellen hört sich Richard ganz so an wie heutige Politiker. Wenn sie beispielsweise sagen, sie wollten nie Kanzler werden, man aber trotzdem bei jedem Wort spürt, dass sie es genau auf dieses Amt abgesehen haben – und dafür auch über Leichen gehen würden.

REGIE Matthias Rippert

BÜHNE Fabian Liszt

KOSTÜME Johanna Lakner

MUSIK Robert Pawliczek

RICHARD, HERZOG VON GLOUCESTER Stella Hilb

EDWARD IV, KÖNIG VON ENGLAND Philippe Goos

CECILY, HERZOGIN VON YORK Irene Kugler

PRINZ EDU, EDWARDS SOHN (KINDERSTATIST:IN) Sonja Schulz, Felix Wendtland/Nikolai Gemel

GEORGE, HERZOG VON CLARENCE Nikolai Gemel

LADY ANNE, SPÄTER RICHARDS FRAU Viktoria Miknevich

BUCKY, CHIEF OF STAFF, VERTRAUTER VON RICHARD Lukas Holzhausen

CATESBY, BUTLER Cino Djavid

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